Trojaspiel
Durchsetzungskraft sie besäßen. Das taten sie auf folgende Weise: Sie verabredeten einen Tag, an dem sie sich in Teitelbaums Gasthof in der Golovkovskaja gegenübersetzen und die Köpfe so lange gegeneinanderstoßen wollten, bis einer von beiden aufgeben würde. Der Wettbewerb war eine Attraktion, denn jeder weiß, was ein Rabbi mit seinem Kopf anrichten kann. Man wettete sogar, aber einen klaren Favoriten gab es nicht. Für Isker Nudelmann, den Zwerg, mußte der imposante Schädel ein stabiles Schlagwerkzeug sein. Und der Hals des Riesen Schlomo Kniker war drahtig wie ein Ankertau. Ihre Schädel hieben aufeinander los, daß es klang wie Kastagnetten. Beide trugen ihre Kippa, um anzuzeigen, daß es hier um einen religiösen Wettstreit mit anderen Mitteln ging.
Kniker hatte Vorteile, so schien es, weil er diesen lächerlichen Schädel, den er besaß, fast ganz in die Kippa eingewickelt hatte, außerdem machte Nudelmann schon früh einen wehleidigen Eindruck. An seinem großen Kopf war nur eine Kirsche von einer Beule gewachsen, und schon wollte er die weiße Fahne hissen.
›Du stößt schon gar zu arg, Schlomo, mir scheint, du willst mich zermürben‹, jammerte er, während ich an Teitelbaums Tresen einen Mann beobachtete, der versuchte, sich eine Fliege ins Nasenloch zu schieben, weil er behauptete, daß der englische Schnupftabak schon stark nachgelassen habe.
Ein paar der Umstehenden lachten wegen dieser Bemerkung, nur nicht der Rabbi, weil er wußte, daß sein Leben in Gefahr war.
›Wenn ich hierbei sterben sollte, dann wird jeder sagen ›DU HAST EINEN RABBINER GETÖTET‹, bedenke das Schlomo Kniker, MÖRDER!‹
›Nein‹, gab der andere zurück, ›DU hast Selbstmord begangen, werden sie sagen und sich wundern, warum in deinem großen Kopf sowenig Verstand war!‹
So ging es hin und her, es war geradezu langweilig. Am Ende bekam Nudelmann Visionen: ›Laß Nachricht zu meinen Kinderchen schicken, Kniker, daß sie wissen, ihr Vater habe in seinen letzten Sekunden an sie gedacht. Oh, wie ich sie liebe!‹
›Schick doch selber‹, herrschte Kniker ihn an, seine Stimme hatte kaum etwas von ihrem jugendlichen Schmelz eingebüßt.
›Ich kann nicht‹, weinte Nudelmann fast, ›ich habe vergessen, wo sie wohnen, mein Kopf tut so weh!‹
Und dann gab er auf.
Kniker erhob sich abrupt, um zu zeigen, daß solche Kleinigkeiten den Gang seiner Geschäfte nicht weiter behindern durften. Man hörte ein verlegenes metallisches Geräusch, und dann begann sich um den Duellplatz ein Aufruhr zu erheben. Ich teilte die Menge, um nach dem Rechten zu sehen. Und da stand der Riese Kniker und streichelte verlegen seine Gebetshaube, während man ihm mit Gewalt drohte. Vor ihm auf dem Tisch lag eine Platte aus Gold, auf die ›der Name des Allmechtigen, den man nicht aussprechen darf‹, geritzt war. Es sollte sich herausstellen, daß er diese Platte bei einem Goldschmied geliehen und sie mit Tuchstreifen an seiner Kinderstirn befestigt hatte. Die Kippa hatte sie verdeckt. Nudelmanns Augen triumphierten, aber seine Stimme war zu schwach für nennenswerten Protest. ›Betrüger‹ brüllte das Publikum und schüttelte die Fäuste.
›Eine List war’s‹, gab der Riese heiser zurück.
›Hat David etwa Goliath betrogen, weil er eine Schleuder benutzte?‹ fügte er schlau hinzu – und diese historische Anspielung ließ in der Tat manchen Zuschauer stutzig werden.
›Seht euch doch diesen Schädel an!‹ rief Kniker leidenschaftlich und zeigte auf den Kopf Nudelmanns, der in den letzten Minuten noch um einiges gewachsen war.
›Er hätte meinen Kopf aufgeknackt wie eine Nuß. Also mußte ER selbst mir helfen‹, sagte er und wies auf die Gravur der Goldplatte.
Gemurmel zeigte an, daß diese Beweisführung nur schwer zu widerlegen sei.
Ich trat ruhig auf den Tisch zu und steckte das Gold in meine Tasche. Als ich mich anschickte zu gehen, hob der Riese den Zeigefinger.
›Halt, das ist Diebstahl‹, eiferte er.
›Du reißt dein Maul weit auf für einen Betrüger‹, erwiderte ich.
›Ich bin kein Betrüger‹, empörte sich Kniker und hob zum Beweis seiner Rechtschaffenheit die Hand mit der Kippa vor sein Herz.
›Wie kannst du etwas, das so offensichtlich ist, leugnen wollen?‹ fragte ich in aller Gemütsruhe.
›Du hättest ihn umbringen können, wenn der heldenhafte Nudelmann mit Rücksicht auf seine
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