Trojaspiel
entschied sich aber dafür, Theo das halbvolle Glas Sanzenbacher Bier ins Gesicht zu schütten.
Es hielt Krasnoglaz nicht mehr, nur daß er zu langsam war. Mischka reagierte schneller, saß schon neben Wassilev und legte dem erstaunten Baulöwen einen freundschaftlichen Arm um die Schultern. Mit der Hand, die Theo ein duftiges Taschentuch gereicht hatte, strich er nur kurz über die Wange des Kavaliers. Das Orchester war sensibel, spielte lauter, und Schaulustige mußte sich mühen, über die Schultern der Herren Krasnoglaz, Gelfermann, Bruchstein und Terpolski zu spähen. Sie hatten Theos Tisch umringt wie fromme Chorknaben, bereit, ein Lied zu singen auf den Mut und die Unbezwingbarkeit des Königs.
Wassilev hatte die Wut gepackt, weil er ein Kerl war und eine Position besaß und so nicht mit sich umspringen ließ. Dann sah er einen blitzenden Dolch auftauchen und neben seine Kehle wandern, genau dorthin, wo zappelnde Gefäße von seinem gefährlichen Zorn sprachen.
»Ein Mann ohne Frau – ja. Aber was ist denn ein Mann ohne eine feine Rasur?« fragte schmeichelnd die Stentorstimme. »Na?« Das Messer ruckte vor bis an die Wange von Wassilev, wo es ein wenig kitzelte und kratzte, bis feine Blutströpfchen über seine erhitzen Wangen leckten. »Schäbig ist er! Schäbig . . .«, antwortete Mischka sich selbst.
»Also mache ich einen Vorschlag für einen homme d’honneur. Ich komme dich besuchen, Monsieur, wenn es schon dunkel und gemütlich ist und du dich grunzend wie ein Ferkel in deinen Laken wälzt. Dann trinken wir ein Fläschchen Wodka zusammen, und du wirst mir alles auftischen, was du an Köstlichkeiten in deiner Speisekammer verbirgst. Na, und dann führen wir ein gelehrtes Gespräch über die Wirtschaft und den Börsengewinn, meinetwegen noch eins über die Oper und den neuesten Klatsch aus Petersburg. Und dann – dann mache ich dir eine schöne Rasur. So tief und gründlich, daß nie wieder ein Härchen nachwachsen wird.«
Geführt von Krasnoglaz und Gelfermann fand Wassilev den Weg auf die Straße. Dort entließ man ihn, wie es Japonchik angeordnet hatte, obwohl es Krasnoglaz schwerfiel und ein abschließender Tritt in das Hinterteil des Kavaliers ihm den Abschied nicht leichter machte.
Mischka schnippte eine Visitenkarte, die er in Wassilevs Anzug gefunden hatte, über den Tisch.
Theo las flüchtig das feine Papier, es wies eine Adresse in der teuren Fürstenstraße und sogar einen Telefonanschluß aus.
»Du liest doch Zeitung, Monsieur. Hast von dem Fall des Bürgers Angelo Anatra gehört. Ein großer Skandal. Der Sohn und Erbe eines großen Vermögens macht mit einem Mädchen aus Madame Iwanovnas Etablissement das übliche Geschäft ab. Tut es regelmäßig. Dann geht es plötzlich um Leidenschaften, nicht mehr um Geld. Der junge Herr entführt das Mädchen in ein Hotel, genießt hier noch ungestörter. Man beschließt durchzubrennen. Die Eltern wollen ihn enterben – der Herr wird nachdenklich, liebt das Mädchen, aber nicht so sehr, wie es ihn liebt. Sie will ihn nicht gehenlassen, er tötet sie. Vor dem Richter begründet der Sohn seine Tat damit: Das Pflänzchen habe ihn zu sehr geliebt. Dafür mußte sie also sterben. Muß eine Unschuld gewesen sein in Wirklichkeit, denn eine Dirne verliebt sich nicht in ihren Kunden. Die Nervenärzte können den Mörder nicht entlasten. Der Mann hat ein Argument für die Tat. Er ist schuldig. Aber was ist die Moral von der Geschichte? Wie kann man sie erklären? Wir müssen acht geben, Monsieur, daß wir die richtigen Fragen stellen: Was kann passieren, wenn man zu sehr liebt? Oder: Wie sehr muß man lieben, um zu töten? Oder: Wie sehr muß man lieben, um nicht zu töten? – Denn vergiß nicht, Monsieur, du bist meinetwegen gekommen.« Die Spitze der Klinge zeigte jetzt auf Mischka. Der Dolch lag griffbereit neben Theos Hand, war dort von Japonchik abgelegt worden. Aber ein weiteres Mal verweigerte der Junge die Annahme.
Manka und ihre Freundin hatten sich auf den Weg in das Alexanderviertel gemacht. Dort beim Juwelier Mahs hatte die Kosakin etwas in Auftrag gegeben, von dem sie glaubte, daß es Theo den Kopf zurechtrücken und ihn mit goldener Kette an sie binden würde. Für Manka, die selbst nie wertvolle Geschenke erhalten hatte, nur von Herren mit Absichten, wie Petrov, mit billigem Tand bestochen worden war, für Manka war dieses Geschenk ein Liebesbeweis, der gegeben werden mußte, weil ihre
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