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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Zwei Frauen gingen vorbei und rafften ihre Röcke, als sie kichernd über Theos Beine stolzierten. In dem Nebel, der sich nur langsam lichten wollte, tauchten vertraute Bilder auf. Auch Lisa und die Erinnerung an einen Spaziergang im Park, der so weit zurücklag, daß selbst ein Gedächtnis wie Theos mit ihm nur selten erfolgreich war. Aus dem Kinderwagen heraus oder an der Hand geführt, unsicheren Schrittes, fühlte er Lisas Unruhe. Eine Spannung, die sie nicht verbergen konnte, auch wenn es keine Worte gab, sie zu benennen. Der Mann, der als Schatten neben ihr ging, seinen Abschied vorbereitete, sprach mit ruhiger, aber eindringlicher, dabei wohlklingender Stimme. Theo fand in diesem Augenblick gar keine Beachtung, sah unsicher zu seiner Mutter auf, die wehleidig ein Taschentuch vor den Mund gepreßt hielt, konnte das Gesicht des vornehmen Begleiters, dessen Kopf sich in einer weit entfernten Höhe befand, nicht sehen oder nicht erinnern, hörte nur irgendwann die Stimme noch schmeichelnder klingen, als sie sich an ihn selbst richtete:
       »Es ist Zeit, mein Junge . . .«
       Theo schlug die Augen auf, erblickte das Konditorhaus, in dem die Lichter gerade angingen. Er spürte plötzlich, daß etwas anders war. Und dann kam, als wäre es ein Schreien und Kreischen in der Luft, das Geräusch der Vögel, der Flügelschlag wie ein dunkles Wetter, das heraufzog und den Himmel beschattete. Als sie die Straßenschlucht erreicht hatten, war es, als hätte der Teufel von der Stadt Besitz ergriffen. Zu Tausenden standen sie für einen Augenblick schwarz am Himmel, bevor sie sich auf das Haus stürzten, die Fassade, das Dach und jeden Giebel bedeckten. Ein Rascheln und Flüstern verbreitete sich ringsum. Sie hatten Liebmanns duftende Konditorei besetzt, ein schwarzes Meer aus bewegten Federn, die Lichter schimmerten müde durch das prächtige, dunkle Kleid. Das ganze Haus – auf einmal begann es zu atmen, sich zu bewegen, zu schwanken, zu beben. Schwarze Flügel schienen es in den Himmel tragen zu wollen, aber die Müdigkeit der Tiere, die ihre Heimat wiedergefunden hatten, hielt es doch am Boden fest.
      
       »Das Haus, es lebt«, dachte der Junge, während ein paar frühe Passanten auf der Straße anhielten, um das Wunder zu beklatschen.
       Der Frühling begann so , schrieb Theo, die Odessiten wußten, daß mit den Staren das Leben in die Stadt zurückgekehrt war.
       Und er stand auf mit einem letzten Blick auf das atmende Haus und vergaß Vater und Stiefvater.
      
      
      

T r o j a s p i e l
      
      
      
      
      
       
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      

 
       Die Geschichte geschah, und Mahgourian erzählt sie mit wachsendem Eifer, bringt mitunter die Sprachen durcheinander, probiert verschiedene Tonlagen, erzählt immer den eigenen Launen ergeben, weitschweifig, rafft auch, zielt meistens aufs Gefühl, bringt aber hauptsächlich sich selbst in Stimmung, während wir nur staunen oder uns Gedanken machen um den Erzähler, der mal knapp und kühl, mal bekannt blumenreich seinen Faden spinnt, oft ins Melodramatische kippt, mit den Theatergesten seiner Hände Orte und Gestalten nachzeichnet, zur Rührseligkeit neigt, schniefend und erschöpft mittendrin pausiert, als würden die Geister, die er rief, nun selbst seine Zuhörer geworden sein, ihn das Fürchten lehren wollen. Obwohl wir meistens schweigen, kaum nachfassen, es sei denn, er beginnt russisch oder armenisch zu sprechen, uns aus dem Auge zu verlieren, etwa als der Junge seinen Hund Duscha hinterließ, um über See nach Amerika zu reisen und erst dort zum Haifisch zu werden. Hier war es also der biographische Bezug, der Mahgourian einholte. Aber während des Erzählens kommt uns der Verdacht, der Hotelier habe in dem Material, das er freihändig, aber talentiert vorträgt, Sachverhalte entdecken können, die seine Anteilnahme an T. L. ins Schmerzliche steigern mußten.
       Etwas ist da wohl, er spricht es nicht aus, das ihn mehr noch als seine Verbundenheit mit Schwartz, den Vorbesitzer des Hotels, Theodor Lanaievs Geschichte als Schicksalsangelegenheit begreifen läßt.
       Während wir noch zuhören, sind wir wieder auf dem Weg, auf der Spur, unterwegs zur letzten Station der Reise, so sieht es Mahgourian. Wir folgen dem Hinweis der letzten Karte, die T. L. an seinen New Yorker Freund geschickt hatte. Sie zeigt einen Abschnitt der Via Appia, der

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