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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Finger zu verbinden, in einer Bodenritze schließlich, neben dem Bett, stak ein altes Lederfutteral, das zwölf runde Taschenspiegel enthielt, und in der mit Wachstuch ausgelegten, im übrigen leeren Schublade des Nachtschrankes, lag eine emaillierte Pillendose, bis zum Rand mit kleinen Schrotkugeln gefüllt. Was blieb, waren das Holzhaus und die Truhe, die mit einem schweren Vorhängeschloß gesichert war . . .
      
       Jeder Pinselstrich, jede feine Maserung des Holzes ist deutlich zu erkennen. Ich sehe alles im grellen Licht, habe Scheinwerfer aufgebaut, die unerbittlich auf das Haus, oder was es ist, gerichtet sind, und muß zugeben, der Künstler oder Bastler hat einiges Talent besessen. Die Farbe ist oft dicht, an manchen Stellen jedoch fast zurückhaltend aufgetragen worden, das Ergebnis wirkt organisch, so sehr, daß man versucht ist, den gemalten Bewohnern, die ihren Kopf am Fenster zeigen, sich sogar hinauslehnen, Grimassen schneidend, einen Gruß zuzurufen. Ich bin Zeuge einer märchenhaften Schrumpfung, die ein Zauberer an einem Haus bewirkt haben muß, oder ich bin ein Riese, der auf dieses Haus mit Scheu und Neugier blickt, ohne zu wissen, wie er sich ihm nähern soll. Es läßt sich bewegen, aber die Wände geben nach. Und beim ersten Knacken und Knistern aus dem Inneren des Hauses breche ich ab, habe das Gefühl, ich könnte etwas zerstören. Die Fassade verwirrt mich. Niemand würde solche Sorgfalt auf die Gestaltung einer Kulisse verwenden, die nur leeren Raum verbirgt. Etwas muß in diesem Gehäuse sein, davon bin ich überzeugt. Mein Versuch, es von der Stelle zu bewegen, hat es mir gezeigt: Ich habe die Holzplatten neben der Werkbank genau untersucht, es sind die gleichen wie diejenigen, aus denen das Haus besteht. Sie sind so leicht, daß man den Quader ohne Mühe von der Stelle bewegen könnte, wenn er leer wäre . . .
       Stunden habe ich vor meinem Fund verharrt, andachtsvoll, im Schneidersitz vor dem Haus. Und dann begehe ich den Frevel doch, der meine Kapitulation belegt, die rohe Gewalt ja immer ist, auch die des Forschers, ein Mangel an Gedankenarbeit. Ich untersuche die Kanten des Modellhauses, die fest ineinandergefügt sind, und treibe schließlich dort, wo sie zusammenlaufen, an einer Stelle auf Augenhöhe, ein feines Messer zwischen die Holzplatten, stoße auf Widerstand, und trotzdem, der Schritt ist getan, das Messer dringt vor, der Spalt, der sich öffnet, wird größer und größer. Ich erkenne keine Nägel, sehe nicht die Reste von Leim, verstehe nicht, wie alles zusammenhalten kann. Behutsam schiebe ich feine Werkzeuge in den Spalt, um ihn weiter aufzuzwingen. Ein kleiner Schraubenzieher, eine schmale Feile, der Spalt wird größer, aber die Holzplatte löst sich nicht, die Wand scheint auch mit dem Inneren des Hauses verbunden zu sein, ungewöhnlich, denke ich und schaudere, weil es bedeutet, daß ich noch mehr Gewalt anwenden muß, womöglich noch größere Zerstörung anrichte. Ich leuchte in den Spalt hinein, so gut es geht, und sehe – weiteres Holz, in dichten aufeinanderfolgenden Reihen, kann aber nichts Genaues erkennen. Nur daß es nicht leer ist, das Haus, soviel ist offensichtlich. Ein Knacken und Knistern erneut, dann das feine Geräusch brechenden dünnen Holzes, vorwurfsvoll, als ob einem lebendigen Wesen die Knochen im Leib zerbersten würden. Vielleicht sind es nur feine Risse, beruhige ich mich, leichte Frakturen, heilbar, oder etwas löst sich da aus einem festen Halt, um doch in dem Augenblick, da ich den Spalt wieder schließe, am alten Platz zu sein, unversehrt.
       Ich sehe ein, daß ich nicht weiterkomme. Die Wände lassen sich nicht trennen, und dann, in meinem schwächsten Augenblick, gebe ich der ersten Vermutung nach, es sei nur ein verstaubtes Puppenhaus, ein albernes Spielzeug. Fast zornig nutze ich die Hebelwirkung der Werkzeuge, zwinge beide Hände in den klaffenden Holzkasten, reiße die Wand mit aller Kraft zur Seite, sehe, wie Farbschichten von der Fassade des Hauses abplatzen, sehe die Linien sich widerwillig biegenden Holzes. Die Wand löst sich, ich schiebe mein Knie und meine Oberarme zwischen die Holzplatten, und was ich dann erkenne, nur für einen Augenblick, bevor ich der Spannung, die noch immer auf dem Holz liegt, wieder nachgebe, ist mehr, als ich begreifen kann.
       So geht es dem Riesen, der von den Häusern und Bauten der Menschen Dächer und Wände reißt, staunend ein winziges Gewirr von Räumen und Fluren entdeckt,

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