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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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ineinanderverzweigte und -verschlungene Tunnel, die Abstände der wabenartigen Kammern so gering, das er keinen Finger hineinzwingen könnte, eine verschlossene, weitverzweigte Welt innerhalb eines geometrischen Raumes, die es nicht geben kann, sie ist eine Phantasie, ein Kunstwerk, eine optische Täuschung.
       Die Wände bewegen sich elastisch zurück, noch immer sind sie auf so großer Fläche mit dem Innenraum des Hauses verbunden, daß es wie von selbst geschieht, wie ein lebendiger Reflex. Das Knacken und Knistern klingt jetzt wie ein Stöhnen. Die Seiten der Holzwände fügen sich fast lückenlos zusammen, nur ein kleiner Spalt bleibt, und die Spuren abgeplatzter Farbe auf der gemalten Fassade.
      
       Von den über tausend akribischen Zeichnungen und Plänen, die ich in der Truhe fand, nachdem ich sie aufgebrochen hatte, habe ich Mahgourian auch erzählt. Sie alle stellten Vorlagen dar für den Versuch, in bekannte, sogar berühmte Bauwerke bis zur Unkenntlichkeit verschachtelte dreidimensionale Labyrinthe einzufügen. Auf den ersten Blick nicht mehr als eine aufgezeichnete und damit bewiesene Form von Irrsinn, der Versuch, sich gegen das Zweckmäßige, gegen jede Vernunft zu stellen. So groß war dabei die Leidenschaft des Zeichners für das Verschwinden hinter den tückischen Windungen des Labyrinths, daß er auch seine Initialen auf mehreren Blättern in verschiedenen Namenskombinationen wie zum Scherz ausprobierte. Eine Kinderei? Angst vor Entdeckung? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob Thorvald Lenz, Thelonius Lund, Tibor Lennartz neunzehn Jahre alt war, als er die Kiste verschloß und sich davonmachte, um ein Rätsel zu werden oder ein Rätsel zu bleiben. Obwohl ein kurzer Satz unter seinen vielen Notizen auf den zurückgelassenen Papieren das unbedingt glaubhaft machen will.
       Seine Konstruktionszeichnungen, seine Grund- und Aufrisse auf Papieren von verschiedenem Format und unterschiedlicher Qualität, oft ohne Zeichenhilfsmittel wie im Rausch ausgeführt, hatten etwas Alptraumhaftes, ein geometrisches Unwetter von Strichen und Linien, die sich in Tausenden von Winkeln, von Mustern und Schraffuren auflösten.
       Die Kathedrale von Chartres mit ihren großflächigen gespinstartigen Fensterrosen, dem spinnwebähnlichen Strebewerk ihres Chors, der gedrungenen Macht ihrer Portale, in der die Plastiken der Heiligenfiguren fast lebendig aussahen, auch ohne seine Beigaben wirkte sie wie ein Bauwerk aus dem Fundus einer heimgesuchten Phantasie. Die verschlungenen Labyrinthe, die T. L. einfügte, kamen mir wie ein tieferes Verstehen dieser Kunst vor. Anders die schlichteren Gebäude, ich fand sie in den Büchern der Bibliothek nicht belegt, mit Dachformen wie etwa Glocken oder Zwiebeldächern, die hierzulande selten sind, im Bauplan dieser Häuser wucherten seine Konstruktionen wie Fremdkörper, Kokons, die von einer unheilvollen Geburt kündeten.
       Schließlich fand ich ein Bild, wie von Kinderhand gezeichnet, auf dem das bemalte Holzhaus in eine imaginäre Landschaft gebettet war. Die Natur ist leichter zu verstehen, als zu erklären hatte T. L. am Kopf des Blattes notiert .
       Über dem Haus, das frei in weiter, blühender Landschaft stand, drohte ein grauer, Unwetter ankündigender Himmel, und von dort, aus der dunkelsten aller Wolken, hatte sich ein einzelner Regentropfen wie eine schwarze Kugel gelöst und fiel auf die Mitte des Daches zu.
       Ein einzelner Tropfen Wasser, der über Schindeln perlen und verdunsten würde.
       Selbst in meinen Träumen verfolgte mich das Bilderrätsel, bis ich mitten in der Nacht aufschreckte, nicht mehr einschlafen konnte und mich auf den Weg zu der alten Villa machte, wenige Tage bevor der Speicher endgültig geräumt werden sollte.
       Dort lehnte ich eine Leiter an die Wand des Quaders und stieg hinauf, sah von oben auf das Satteldach und entdeckte in seiner Mitte, neben den Firstziegeln, eine kurze quadratische Säule, einen Schornstein, der aus einer Zinkblecheinfassung ragte und eine winzige runde Öffnung besaß. In ihn ließ ich eine jener Schrotkugeln hineinfallen und lauschte einem immer feiner werdenden Geräusch, das schließlich verklang. Es war kühl auf dem Dachboden, aber ich fror nicht, die alte Villa barg ihre Gespenster, aber ich fürchtete mich nicht, es war früh am Morgen, aber ich wurde nicht müde, saß im Schneidersitz vor dem Holzquader, der ein Haus sein wollte, bildete mir ein Beben ein des mit ungezählten

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