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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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gewöhnliches Haus sein. Das war kein Gebäude, in dem Menschen leben sollten. Seine Konstruktion war – nicht zweckmäßig. Sie ist wie etwas Organisches, etwas Lebendiges. Eine Struktur, die für sich selbst steht und die trotzdem ihre Wirkung hat: Man ist ein anderer, wenn man das Labyrinth verläßt. Schwartz hat mit Ehrfurcht von seinem Freund gesprochen. Wie von einem höheren Wesen. Ein Universalgenie. Die räumliche Vorstellungsgabe war es nicht allein.Dieser junge Mann sprach mehrere Sprachen fließend, hatte ein verblüffendes Gedächtnis und ein dem Ingenieur unheimliches Talent für Zahlen. Aber sein einziges Interesse, oder soll ich sagen: seine Obsession, sind diese dreidimensionalen Gebilde. Er zeichnet sie, er plant sie und will sie bauen, als wäre er ein Tier, das in diesen Labyrinthen Zuflucht sucht.
       Und dieser Verrückte – oder Hochbegabte – tauchte eines Tages im Dschungel von Sumatra auf. Niemand wußte, woher er kam, der Minenbesitzer selbst hatte ihn eingestellt. Der Junge sprach nicht über seine Vergangenheit. Er wollte vielleicht etwas verbergen. Seitdem ich Schwartz und das Labyrinth kennengelernt habe, würde ich gerne wissen, was. Es ist, genaugenommen, das einzige, was mich noch interessiert.«
       »Hat er sich nie wieder gemeldet?«
       Mahgourian öffnete eine Schublade an seinem Schreibtisch und zog eine lederne Mappe hervor.
       »Er hat Postkarten an Schwartz geschickt. Einen Monat lang.
       Bis zum November ’46, Ansichtskarten aus Europa. Die Karten sind nicht sehr informativ. Nur das, was sie zeigen, und die Orte, aus denen sie abgeschickt worden sind, lassen Rückschlüsse zu. Sie werden die Schrift wiedererkennen . . . Schwartz hatte mehr als zwanzig Jahre lang im Lichte des eigenwilligen Genies seines Freundes gelebt. So drückte er selbst es aus. Und nun war er kurz davor zu verwelken. – Er hat in diesen Jahren auch zwei Ehen geführt, ist zweimal geschieden worden und mußte seinen geschäftlichen Ruin erleben. Aber das schien ihm nicht so wichtig gewesen zu sein. Nur dem Baumeister trauerte er nach. Er war vermutlich einfach zu sentimental in seiner Bewertung dieser Freundschaft.«
       Mahgourians Stimme war leiser geworden, er schien während seiner Ausführungen ins Grübeln geraten zu sein und brach schließlich ab, um mich wieder auf diese verwirrende Weise mit schräg gelegtem Kopf anzusehen.
       »Ich möchte, daß Sie ihn finden. Folgen Sie seinen Spuren. Sie tun es ja bereits. Schwartz konnte es nicht mehr. Auch ich hatte Verantwortung und Pflichten. Ich tat, was mir möglich war. Ich habe dieses Haus für Menschen wie ihn geöffnet. Aber das ist mir nicht mehr genug, denn jedesmal, wenn ich einen neuen Gast aufnehme, befürchte ich, er könne verlorengehen, wie T. L., oder verzweifeln, wie sein Freund Schwartz.«
       Er öffnete die Ledermappe und schob ein schmales Bündel Postkarten über den Tisch: »Es sind die Originale. Ich brauche sie nicht mehr. Ich will sie nicht mehr sehen, wäre vielleicht richtiger. Sie fordern mich immer noch heraus. Und ich weiß, es wird Ihnen genauso gehen. Deswegen gebe ich Sie Ihnen.«
       Ich schwieg.
       »Es gibt kein Foto von ihm, aber das wundert Sie sicherlich ebensowenig wie mich. Er hat das Wasser geliebt, sagte Schwartz. Das Meer. Er wollte unbedingt tauchen lernen. Aber er war immer beschäftigt. Zur Hauptsache in Europa. Ende der zwanziger Jahre soll er ein Wohnhaus gebaut haben für jenen Minenbesitzer. In Ihrer Heimat. Mitte der dreißiger Jahre erledigte er noch eine weitere größere Auftragsarbeit.Für einen reichen Fabrikanten, ebenfalls in Deutschland, das erzählte Schwartz. Es soll sich dabei um ein sehr ungewöhnliches Projekt gehandelt haben. Leider hatten diese und einige andere Arbeiten, von denen mir der Vorbesitzer berichtete, das gleiche traurige Schicksal. Der Krieg hat sie zerstört. Wir können nichts daran ändern. Aber all das ist unerheblich. Am wichtigsten war ihm die Konstruktion in diesem Hotel, und deswegen verschwand er, als Schwartz sie antastete. Vielleicht war es die Vorbereitung auf ein künftiges Meisterwerk. Aber hier hat alles angefangen. Dies war seine erste Arbeit«, schloß Mahgourian stolz.
       Ich nahm die Karten auf. Mahgourian zuckte zusammen, denn ich hatte zu lachen begonnen und empfand, ohne es zu begreifen, dabei eine seltsame Genugtuung.
       »Nein«, widersprach ich dann und ordnete die sechs Karten vor mir auf dem Tisch: »Seine erste

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