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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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weitem, ich zuckte unter seinem fragenden Blick zusammen. Es war das Haus, dessen Modell ich in seinem Labyrinth gefunden hatte. Unser Familiensitz seit mehr als hundert Jahren. Es war erst dem Baumeister und später mir zum Gefängnis geworden. Wir waren um den kostbaren Eßtisch meiner Eltern versammelt, und das persönliche Unbehagen, das jeder der Anwesenden auf seine Weise empfand, wurde zunächst durch Tischmanieren und hartnäckige Schweigsamkeit unterdrückt.Mein Gastgeschenk war seitens meines Vaters nicht ausreichend gewürdigt worden. Er schützte Mangel an Verständnis vor, sein Standardvorgehen, was mich betraf.
       Ich hatte ihm, Galgenhumor beweisend, ein Buch über Maulwürfe geschenkt, das alle nötigen Hinweise enthielt: Sie sind Einzelgänger, im Tageslicht invalid, nur im Dunkeln leistungsfähig. Vor allem aber wirken sie unterirdisch, wühlen auch in befriedeten Anwaltsgärten und sind vor Nachstellungen sicher, denn sie stehen unter Naturschutz.
       Die Geste des Schenkens war harmlos, ich machte sie ohne böse Absicht und sozusagen aus Ironie (diese Gabe hatte mir Jahre zuvor immerhin der Amtsarzt bestätigt, der mich im Auftrag der Schulbehörde untersuchte). Meine Mutter, die ihre Mittel flüssig und in Pillenform zu sich nahm und Geselligkeit nur in scharf definierten Ritualen ertragen konnte, litt vielleicht am meisten. Niemand war da, der ihr zur Hand ging, kein Catering-Service, kein Mietkellner, selbst das Hausmädchen hatte frei, von meinem Vater veranlaßt, nicht aus Boshaftigkeit. Bei Familienangelegenheiten waren Zeugen unerwünscht. Alles war an diesem Tag anders. Auch die üblichen Gesprächsthemen, deren Vorbereitung Jahre gekostet und Unmengen von Geld verschlungen hatte, fielen aus. Mit wem hätte man über die neuesten Errungenschaften eines mondänen Geschmacks reden sollen, der dieses Haus (immer noch eines der protzigsten in der Straße) zu einer Phantasie aus dem Lifestyle-Journal gemacht hatte? Das Fengshui eines weiteren Verfeinerungen nicht mehr zugänglichen Ambientes: Der Eßtisch mit der roséfarbenen Platte aus Brokatmarmor, die auf drei Säulenfragmenten eines genuesischen Dogenpalastes ruhte. Der neuentdeckte Expressionist, ein greller Kommentator regelmäßiger Vernachlässigung oberhalb der moiré-seidenen Schlaflandschaft meiner Eltern. Oder der schon vor Jahren über Sears importierte doppeltürige General-Electric-Kühlschrank, an dem sich mein Vater abends mit der Nonchalance des domestizierten Barsäufers Crushed Ice in seine selbstgemachten Cocktails füllte.
       Lauter verlorene Gesprächsthemen.
       Trotzdem saß meine Mutter nicht auf dem trockenen, im buchstäblichen Sinne. Alle paar Minuten verschwand sie in dieser Flucht herrschaftlicher Räume, obwohl das Essen bereits aufgetragen war, und verdächtiges Gläserklirren, im Verlauf des Abends zunehmend indiskreter, verriet, daß sie wie seit Jahren dabei war, ihre Parallelwelt aufzusuchen, in der Männer über vierzig keine Geliebten hatten, Frauen über vierzig nicht älter wurden und Kinder wie Orden an einer Generalsbrust Gegenstände waren, mit denen man sich schmükken konnte. Der Professor betrachtete das Schauspiel mit der Gelassenheit des Mannes von der Straße, noch immer unsicher über die Bedeutung seiner Rolle in dieser Angelegenheit.Aber im Bereich des Menschlichen war ihm nichts fremd. Er saß da in seinem verbeulten Sakko und hatte die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet. Da er nicht gerne von Fremden nahm, aß er nichts, und das einzige, was sich im übrigen an ihm bewegte, waren seine Kohlenaugen. Sie folgten den Bewegungen der Hände am Tisch, die mitunter ein Zittern zeigten, wenn sie nach Häppchen griffen. Er verfolgte die Weise, wie Messer dann in Hühnerbrustfilets und Rindermedaillons stachen, als ginge es auf Leben und Tod, und sein Blick sprang schließlich von mir zu meiner Mutter, zu Mahgourian und Laura und zu meinem Vater, der direkt neben ihm saß, so daß er die Augen fast verdrehen mußte, da er aus Höflichkeit oder Schüchternheit den Kopf nicht wenden wollte. Ich fand jedoch nicht einmal das komisch, seit dem Beginn unserer Reise hatte ich kaum etwas getrunken, keine Gelegenheit, wie unangenehm die Gesellschaft von Menschen, die wir mögen, unsere besten Vorsätze herausfordert, ich wollte keinen meiner Freunde vorzeitig enttäuschen.
       Meine Mutter hätte meinem Vater nicht fremder sein können. Kommunikation fand nur im Ansatz statt. Eine Verbindung

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