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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Art Überempfindlichkeit«, fuhr er dann, ohne eine Antwort abzuwarten, fort, »eine übersteigerte Resonanzfähigkeit. Alles wird intensiv erlebt. Kleinigkeiten können einen so behindern, ein Unglücksfall wird durch die Nachbetrachtung zu Katastrophe. Andere lösen sich von ihren Erlebnissen, man selbst ist in Ketten geschlagen. Bis man sich als Ursprung jedes noch so kleinen Mißgeschicks ansieht, sich für alles die Schuld gibt.«
       Ich hatte dem alten Mann zugehört, ohne ihn zu verstehen.
       Plötzlich brach er einfach ab, und mir blieb der Eindruck, daß er, wie immer, wenn er nicht mehr weiterwußte, von eigenen Schuldgefühlen sprach. Er hatte den Baumeister und seinen Freund vertrieben, er hatte Menschen, die für ihn heute höher standen als er selbst oder die es jedenfalls nicht verdient hatten, übervorteilt und Schwartz damit in den Selbstmord getrieben.
       »Sie reden ja Unsinn«, sagte ich halblaut, weil ich aus einem unbestimmten Grund fürchtete, Mahgourian könne wieder beginnen zu heulen wie ein kleines Kind.
       In diesem Augenblick kamen Zack und Laura ins Zimmer.
       Der Professor wirkte aufgeräumt, er grinste, eine Hand in der Hosentasche, und wirkte, als würde er sich nur im Interesse seines hintergründigen Humors für diese Versammlung interessieren. Er trug einen Atomkraft-Nein-danke!-Button am Revers und ließ die drollige Einkaufstüte einer Parfümerie in der Altstadt am ausgestreckten Zeigefinger pendeln. Laura tippelte, die Arme vor der Brust verschränkt und den Kopf gesenkt, hinter ihm her. Sie setzte sich auf einen unbequemen Stuhl in die Ecke des Raumes, ein freigewähltes Exil, obwohl sie, bevor sie den Blick unbeweglich auf Mahgourian richtete, zu mir herüberlächelte.
       »Du hast dich verändert«, rief ich ihr unnötig laut zu. Ihr scheuer Blick zeigte mir, daß sie Angst hatte, vielleicht sogar vor mir.
       »Du singst nicht mehr . . .«, fügte ich verhalten hinzu. Meine Streitlust war mir vergangen.
       »Sie heitern uns auf, Zacharias. Das kommt mir heute gelegen. Ich bin ein wenig besorgt darum, daß jeder von Ihnen auf seine Kosten kommt. Die Reise sollte im schlimmsten Fall ein Urlaub für Sie sein. Jeder von uns ist sein eigener Herr. Sie sind keine Verpflichtungen eingegangen, außer derjenigen, meine Gäste zu sein. Aber Weggefährten finden sich nicht ohne einen gemeinsamen Weg, wir alle haben bereits unsere Indizien dafür . . .«
       »Halleluja«, murmelte Zack, der sich neben mich gesetzt hatte. Sein Gesichtsausdruck wirkte jedoch ernst, sogar andächtig.
       Mahgourians Redefluß hatte etwas Hypnotisierendes. Die Weise, wie der Hotelier, dessen wachsende Gebrechlichkeit in den letzten Tagen immer augenfälliger geworden war, von der Bedeutung seiner Mission erfüllt wurde, rührte mich plötzlich. Seine Erzählungen lebten vom berechneten Theaterzauber, aber war unserem Gastgeber diese märchenhafte Demagogie denn zu verdenken? Mahgourians Alter war schwer zu schätzen, seine einmalige Physiognomie, die sich aus den Zügen Methusalems und denjenigen eines Säuglings zusammenzusetzen schien, wirkte einschüchternd. Er mußte weit über achtzig Jahre alt sein, und wenn man seine seit Beginn der Reise zunehmend vorsichtigeren und eckigeren Bewegungen, seine gelegentliche Kurzatmigkeit in Betracht zog, fielen ihm seine Nachforschungen wohl schwerer, als er zugeben mochte. Ich dachte darüber nach, und mir wurde klar, wie ungerecht es war, einem so alten Menschen, mochte er auch verschroben sein, den Respekt zu versagen. Obwohl wir ihn nicht schonten, schon dadurch, daß wir ihn oft einfach nicht ernst nahmen, verließ sich Mahgourian ganz zu Recht auf das Glück des Geschichtenerzählers, auf die Kraft der Fabulierlust, um uns erneut zu gewinnen. So hatte sich Scheherazade vor dem Tod gerettet.
      
      
       »Sie fanden eine menschliche Hand in der Zigarrenkiste des Herrn Giocondo, und noch im ersten Augenblick des Schocks, als man an Mord und Verstümmelung dachte, als der junge Fremde im Krankenhaus der Täter und der mysteriöse Italiener sein Opfer sein sollte – diese Gedanken stürzten den Beteiligten durch den Kopf, denn immerhin gehören abgetrennte Hände nicht zum Reisegepäck eines Gentlemans –, war Blüthgen, der berufsbedingt sowohl Leichname als auch abgetrennte Gliedmaßen bereits aus der Nähe hatte betrachten dürfen, aufgefallen, daß die Hand keineswegs so aussah, als gehöre sie zu einem Toten. Vielmehr

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