Trojaspiel
machte das frische, behaarte, sorgfältig manikürte Körperteil mit seinem gesunden Teint und seiner entspannten, sozusagen undramatischen Fingerstellung den Eindruck, als hätte ihr Besitzer sie gerade kurz abgeschraubt, wie eine Prothese, um – ja warum eigentlich – den Finder zu schockieren? Einen garantiert einarmigen Handstand zu vollführen? Oder vor jungen Mädchen Eindruck zu schinden? Blüthgen hatte gelernt, mit solchen humoristischen Verdrehungen der Sachlage sein allzu menschliches Entsetzen zu beherrschen, teils weil ein heiterer Stoizismus nicht nur charakterfestigend wirkte (denken Sie an die Zwillinge) und außerdem beruflich angemessen war, teils weil er es einfach widerwärtig fand, wenn erwachsene Menschen, die hier ja keineswegs zu einem Kaffeekränzchen erschienen waren, spien und ihre Hosen näßten. Und tatsächlich hätte dieser erste Eindruck des seltsamen Fundstücks ihn in seinen Ermittlungen vermutlich weitergebracht als die zahllosen Gespräche mit den sogenannten Fachleuten wie Dr. Brand, dem Orientalistikexperten aus Berlin, Medizinalrat Schwertfeger, dem Armeepathologen mit den faulen Zähnen, der selber Leichengeruch verströmte, weiter auch als die Gespräche mit Pfarrern und Totengräbern oder das Gespräch mit dem Theologen Rosner, einem Exorzisten und Experten in Geheimbünden, Logen und Okkultismus.
Die Hand war sauber über dem Handgelenkknochen abgetrennt worden, der Knochen war nicht gesplittert. Daraus schloß Blüthgen sofort, daß man es hier mit dem Produkt einer Leichenschändung zu tun hatte, der nicht notwendigerweise ein Mord vorausgegangen sein mußte. Ein gesunder lebender Mensch ließ sich nicht ohne weiteres eine Hand absägen. Das gewaltsame Abhacken von Gliedmaßen, wie es bei äußerst grausamen Mordfällen vorkommen konnte, führte in der Regel zu Knochensplitterungen. Und welcher im leidenschaftlichen Furor tötende Mörder würde auch auf die Idee kommen, die Hand seines Opfers anschließend auf das sorgfältigste zu konservieren? Ja, hier lag ein weiteres Problem, denn es handelte sich bei diesem Exemplar nicht etwa um die braungelbliche, verdorrte Hand der üblichen Mumie. Blüthgen hatte solche mumifizierten Hände schon gesehen im orientalischen Museum von Dresden in einer Vitrine, aber auch in der Kirche einer Nachbargemeinde, wo so ein Exemplar in einem Samtbeutel in der Sakramentsnische aufbewahrt wurde. Niemand in dieser Kirche konnte genaue Rechenschaft über die Herkunft dieses Schmuckstücks geben, das wohl ein paar hundert Jahre alt sein mußte. Die Legende, so hatte ihm der Pfarrer berichtet, der ihm das halbzerfallene Leichenteil damals bereitwillig zeigte, war, daß sie dem Sohn eines Küfers gehörte, der sie gegen seinen Vater, einen notorischen Säufer erhoben habe. Er verdrosch den Alten, bis dieser ohnmächtig zu Boden sank. Am nächsten Tag fand man den Sohn tot, der Vater hingegen lebte noch ein Weilchen. Man begrub den toten Schläger, den der allgemeinen Auffassung nach der Zorn Gottes selbst hinweggerafft haben mußte. Erstaunlicherweise begann die Hand des Frevlers dann aus dem Grab heraus auf ihr ungeheuerliches Verbrechen hinzuweisen, indem sie sich schon am Tage nach dem Begräbnis aus der Erde reckte. Die Gemeinde war entsetzt. Aber ihr Schrecken sollte noch größer werden. Denn sooft man auch die Hand des Elenden wieder mit Erde bedeckte – schon einen Tag später ragte sie wieder aus dem Grab empor. Bis man schließlich übereinkam, sie abzuhacken und als mahnendes Gotteszeichen aufzubewahren. Blüthgen hatte damals dem seiner Meinung nach überaus geschäftstüchtigen Geistlichen, der ihm das kümmerliche Überbleibsel sogar in die Hand gelegt hatte, lächelnd ein paar Münzen in den Klingelbeutel gesteckt und die kleine Feldsteinkirche verlassen, denn das Papperlapapp des Volksmundes interessierte ihn nicht. Später hatte er allerdings einem seiner dreisten Söhne – auch als Knirpse im Kieler Matrosenanzug waren sie ihm nicht ähnlicher geworden –, der die Neigung hatte, seinen Vater im Zorn mit der Faust schmerzhaft gegen die Kniescheibe zu schlagen, diese Geschichte zur Abschreckung erzählt, woraufhin ihn sein Sohn fortan in die Wade biß.
Mumifizierung, so erfuhr Blüthgen von jenem Orientalisten, wurde im einfachsten Fall durch Austrocknung erreicht. Der Wasserentzug hindere das Körpergewebe daran zu faulen. Die alten Ägypter nutzten für den Prozeß der Austrocknung Natron und hemmten die
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