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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Angst, daß sie es ausbreitet, was bei mir Atemnot auslösen könnte. Schweigen ist Gold. Es ermöglicht den wohlwollenden Verdacht des Mißverständnisses. Meine Mutter, die Zeugin: Alkoholikerin.
       Laura mit ihren wenigen Semestern Goethe und Schiller: Kommunikationsschwierigkeiten.
       »Gelogen, gelogen, gelogen!« wiederholt sie wie ein Kind, die Hände zu Fäusten geballt, um mir zu zeigen, daß der Vertrauensbruch sie nicht so kalt läßt wie mich.
       Die Welt ist nicht in Lüge und Wahrheit aufgeteilt, vertreibe ich ihren insistierenden Vorwurf, diese Zweiteilung betrifft nur das Denken.
       Dann versuche ich, ein Zeichen von Dominanz zu setzen.
      
       »Was hast du von meiner Mutter gewollt? Ist das eine Art von Safari für dich? Meine Familie ist kein Forschungspark. Meine Eltern jedenfalls gehen dich nichts an!« sage ich kurz angebunden.
       Laura stampft mit dem Fuß auf.
       »Glaubst du etwa, ich bin deinetwegen mitgekommen?«
       »Wie hätte ich das jemals annehmen können«, erwidere ich, die verquälte Pantomime eines Lächelns im Gesicht.
       Laura gebraucht ein Schimpfwort, und ich, der ich sie am liebsten nur in den Arm nehmen würde, lasse das Programm dieser sinnlosen Rhetorik weiterlaufen.
       »Genieß doch einfach deinen Urlaub und sammle Brosamen für deinen – Vaterersatz!«
       Das letzte Wort läßt Laura starr werden, sie erbleicht. Ihre Augäpfel scheinen sich zu verdrehen, ein Anfall, plötzliche Atrophie, Auszehrung, dort wo sie taucht und nicht ertrinken will.
       Mit einer Gewalt, die unüberlegt sein muß, Notwehr, und die ich nicht für möglich gehalten habe, schlägt sie mir ins Gesicht. Ich schmecke sofort Blut durch den Sternenregen, der vor meinen Augen niedergeht, während schon meine Hand Wange und Lippen betastet, sehe ich Laura oder ihren Schatten. Die Hände vor dem Gesicht, stürzt sie aus dem Raum.
      
      
       Mein Großvater hatte mir von der Begegnung erzählt, die das Schicksal unserer Familie verändern sollte.
       Es war ein Sonntagvormittag, der Patient hatte die Stunde ausgesucht, an der seine Flucht am wenigsten Aufmerksamkeit erregen würde. Der Wachtmeister am Eingang zum Krankensaal schnarchte in seinen Bart. Die Messe war immer gut besucht, die Straßen leer. Aber eine der Schwestern löste Alarm aus. Die Polizeistation lag in der Nähe, bald waren um die dreißig Männer auf den Beinen in Zivil und Uniform, auch einige Bürger hatten sich angeschlossen, die Jagd auf den teuflisch hübschen Knaben würde ein Spaß werden.
       Der gehetzte Junge jagte über das Pflaster. Er trug einen Leinenanzug über seinen Verbänden und verringerte sein Tempo nicht, obwohl er die Sackgasse erkannt haben mußte. Er hatte sich das größte Haus mit dem weitläufigsten Garten ausgesucht und setzte über den Zaun. Als er den bärtigen Mann sah, der pfeiferauchend auf einer Sandfläche vor dem rückwärtigen Eingang Zahlen mit einem Stecken auf den Boden malte, der so eigenartig friedlich aussah und seinen unerwarteten Besuch, ganz der Zahlenmalerei ergeben, nur mit halbem Auge musterte, faßte er Mut und bat um Hilfe.
       Er war ganz eindeutig ein Slawe, seine Physiognomie sprach dafür. Er beherrschte mehrere Sprachen. Sein Deutsch hatte einen polnischen Akzent. Dein Urgroßvater war viel herumgekommen. Er konnte so etwas erkennen.
       Der Tritt beschlagener Schaftstiefel hallte bereits durch die Straße, und der freundliche Herr, dessen Augen streng waren, wenn sie nachdachten, und schwermütig, wenn man ihrem Blick mit Offenheit begegnete, führte den Jungen ohne Umstände in das große Haus und über drei Treppen an den Aufstieg zum Speicher. Zurück im Garten, komplettierte er die letzten drei Zahlenreihen im Quadrat, addierte waagerecht senkrecht und diagonal: fünfundsechzig, die Summe blieb immer gleich.
       Niemand von denen würde es wagen, über seinen Zaun zu steigen. Er betrachtete die fünfundzwanzig Felder zufrieden ein letztes Mal, bevor er an den Rand seines Grundstückes trat. Nein , sagte er, er habe niemanden gesehen und nichts gehört. Der Hinweis, daß man es bei dem Flüchtigen mit einem gefährlichen Verbrecher zu tun habe, ignorierte er, ohne sich eine flüchtige Bestürzung anmerken zu lassen. Er erinnerte sich an den längeren Bericht in der Zeitung des Städtchens und zwei kurze Artikel im überregionalen Anzeiger. Der Herr mit der Pfeife empfahl dem schwitzenden Polizeidiener, auf dessen stark

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