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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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ungefähr“, sagte ich. „Es ist... komplex“.
    „Es hat auch was mit Dankbarkeit zu tun“, erklärte er weiter.
    „Dankbarkeit?“ Für mich war das erneut ein Sprung in seiner Gedankenführung.
    „Ja, Dankbarkeit und Zufriedenheit. Das sind die Gegengifte für alle negativen Gefühle. Lerne, für alles dankbar zu sein, auch für deine Krisen. Du glaubst gar nicht, wie schnell sich deine Wahrnehmung von Mangel auf Fülle ändert. Und dann erwächst in dir ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit. Ich meine nicht die pharisäische Selbstzufriedenheit darüber, dass es anderen viel schlechter geht als dir, sondern eine dankbare Wertschätzung des Lebens. Und, wenn du aus diesem Gefühl der Fülle heraus handelst, kann nur Fülle entstehen, eine Fülle, die du dir selbst schaffst. Das ist der Pool, aus dem du schöpfen solltest. Nicht Mangel und „mir fehlt dies und mir fehlt das“.
    „Aber... Zufriedenheit tötet jedes Vorankommen“, hielt ich entgegen.
    „Nein, Zufriedenheit ist der Nährboden für jedes Vorankommen. Und das heißt nicht, dass man im Leben nichts erreichen kann. Erfolg, der aus Zufriedenheit kommt, ist viel stressfreier als Erfolg, der aus Mangel geboren wird. Im Tibet bekam ich von einem Mönch ein altes indisches Mantra. Es beginnt mit: Om purnamadah, purnamidam 4 ...kennst du es?“
    „Nein, woher denn“, sagte ich perplex über diese für mich skurrilen Gedankengänge.
    „Es bedeutet: Alles ist vollkommen. Aus dem Vollkommenen kommt das Vollkommene. Wenn Vollkommenes aus dem Vollkommenen genommen wird, bleibt immer nur das Vollkommene.“
    „Ist damit Reinheit gemeint?“, fragte ich. „Unschuld? Aber der Mensch ist nicht mehr rein. Wir sind durch alle möglichen Ereignisse mehr oder weniger traumatisiert...“
    „Exakt“, schmunzelte er und klopfte mir bestätigend aufs Bein. „Exakt! Es bedeutet aber auch: die Fähigkeit zu entwickeln, aus jedem Moment das Vollkommene, das Perfekte zu extrahieren. Mit den Augen eines Heiligen zu sehen. Also, worum geht es letztendlich auf dieser Welt?“
    „Diese Reinheit wiederzuerlangen, indem man sich auf das Vollkommene fokussiert?“
    „Hundert Punkte!“ rief er begeistert. „Und das gehen wir an, was? Das wird super!“
    „Uaah... wer weiß, welch dunkle Dämonen du heraufbeschwörst!“ grinste ich gespielt erschauernd.
    „Ich glaube, wir werden sie bändigen, mein Kind“, antwortete er. „Wir werden sie bändigen“ und sein Blick war so voll von einer Liebe, die ich nicht verstand, die mich wärmte, die mein Herz öffnete auf unbekannte Weise. Stumm versank ich in diese wundervollen Augen mit diesem Leuchten, das aus einer nie versiegenden Quelle gespeist zu werden schien. Und hier, bei ihm, war es leicht, diese Dankbarkeit zu fühlen, von der er gesprochen hatte. Tiefe, unsägliche Dankbarkeit, allein für diesen Blick, seine Worte, seine Zuneigung. Und mit diesem alles durchsetzenden Gefühl verstand ich, was er meinte. Wie wichtig Dankbarkeit war. Und wenn es nur für das kleinste war – es war die erste Sprosse, die Verbindung zu allem weiteren. Als ich in diesem Moment an meine Eltern dachte, spürte ich zum ersten Mal seit langem keinen Groll.
    „Das wird nicht anhalten“, sagte der alte, weise Mann da neben mir – er hatte alles genau gespürt. „Aber jetzt hast du zumindest eine Ahnung... und du kannst dich wieder daran erinnern, wenn du es brauchst... bis es dann eines Tages bleibt“.
    Ich nickte. Spann den Gedanken weiter, wie es wäre, diese Dankbarkeit nie zu verlieren und die Ahnung, dass damit aller Groll aus meinem Herzen gespült werden würde, schwebte empor.
    „Das wird deine erste Übung!“ lächelte er. „Schreib es auf einen Zettel, auf den Spiegel, wo immer du hinschaust und leb damit.“
    Damit stand er auf, holte meinen Korb und wir aßen den Salat zusammen. Er gab mir noch ein paar Instruktionen für den nächsten Tag, dann schickte er mich nach Hause.
     
    Zettel lagen vor meiner Tür. Ich sah geflissentlich an ihnen vorbei. Doch plötzlich kam mir, dass jemand versuchen könnte, mich vor der Haustür abzufangen. So gewöhnte ich mir an, durch den Hintereingang zu gehen und die Zettel einfach liegen zu lassen. Als Zeichen dafür, dass ich meine Ruhe wollte. Ich war glücklich mit diesem alten, weisen Mann. Und brauchte nicht mehr.
     
    ***
     
    Dunkelheit umfing mich, als ich um 3. 15 Uhr morgens vor der Tür stand. Der Wald wirkte anders. Noch stiller. Die Vögel schliefen noch, der Mond

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