Tropfen im Ozean
ausgesprochen schwer.“
„Natürlich“, erwiderte er gemütlich. „Das fällt allen schwer. Weil man damit sehr schnell an seine Grenzen stößt... wie du siehst. Jede Menge Stolpersteine, die wir anschauen können! Wir haben gesagt, du musst an dir selbst arbeiten. Also: Bringst du dir denn Respekt entgegen? Was denkst du denn so über dich?“
Oje, was dachte ich über mich? Zu fett, unattraktiv... ich esse zu viel und unkontrolliert... keine Disziplin... muss froh sein, wenn ich überhaupt so was wie einen Freund habe. Mein Becken ist tot... uff...
Mit großen Augen sah ich den alten Mann an. Der Wind blies leicht in sein weißes Haar und seine Augen blitzten amüsiert.
„Ja, siehst du, da kann ja nicht viel bei rumkommen“, konstatierte er. „Da fangen wir an. Beobachte deine Gedanken. Dafür ist Meditation am Anfang da. Nicht, die Gedanken wegdrängen, aber sie auch nicht verfolgen und: Sich nicht dafür verurteilen. Nur beobachten. Schau, was hochkommt. Lern dich selbst kennen. Du kannst nicht erwarten, dass andere dich respektieren, wenn du es selbst nicht tust“.
„Aber“, fragte ich verwirrt. „Ich kann keinen Respekt vor J haben, so, wie er sich verhält! Oder vor Emilie! Und sie gar lieben! Im Gegenteil - ich bin schrecklich wütend auf sie!“
„Ja, Gott sei Dank, sonst würdest du ja nichts ändern. Schau, es ist ganz einfach: Die Welt ist dein Spiegel. An Js Verhalten siehst du, was du dir wert bist. Wenn du deine innere Größe sehen könntest, würdest du sein Verhalten keine Sekunde länger ertragen, du würdest es gar nicht erst herausfordern! Also: Wenn J dir dein eigenes Bild zurückwirft... was siehst du? Was, meinst du, denkt er von dir?“
Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Doch dann troffen bitter die Worte aus meinem Mund:
„Dass er alles mit mir machen kann. Dass ich ihm zur Verfügung stehe... dass er mich nur nicht gehen lässt, weil er mich braucht... für seinen Erfolg. Ich arbeite bis zum Umfallen und er schreibt sich alles auf die Fahne! Er nutzt mich aus!“
„Und? Stehst du ihm zur Verfügung? Lässt du alles mit dir machen?“
Ich wurde rot. Und noch röter.
„Zum Ausnutzen gehören zwei. Einer, der’s tut und einer der’s zulässt“, sagte er und ich schluckte gewaltig. „Wie ist das mit deinem Vater?“, hakte er nach. „Wie hat er dich behandelt?“
Erstaunt sah ich ihn an. Das waren für mich gehörige Gedankensprünge. „Wie mein Vater...?“ Dann kam mir, was er meinte: „Er hat sich gelobt, wenn ich was geschafft hatte...“
„Richtig. Warum auch immer – das muss dein Vater für sich lösen. Aber hier haben wir ein Muster. Du hast dir genau die Person als Partner ausgesucht, die das gleiche mit dir macht wie dein Vater... und das Dümmste, was du jetzt tun kannst, ist, über diese beiden herzuziehen. Es ist dein Muster. Und du musst es lösen“.
Wumm. Mein Kopf kreiselte, aber er ließ mir keine Zeit zum Nachdenken.
„Und wie bekommst du Respekt vor dir?“ bohrte er weiter.
„Ja, keine Ahnung!“ rief ich. „Das ist es ja! Wenn das so einfach wäre...!“
„Es ist einfach. Indem du entdeckst, wer du wirklich bist. Viel mehr als ein Mensch mit einem Namen, das ist gar nicht wichtig. Das verstehst du aber nur, wenn du nach innen gehst. Indem du dich auf die Suche nach Gott machst. In dir drin. Da sitzt er nämlich und wartet auf dich. Aber du schaust zu J, zu deinen Eltern, auf deine Fehler, auf die Mängel und sonst wohin und fühlst dich verlassen. Gleichzeitig hoffst du, dass andere dir geben, wonach du dich sehnst. Werden sie aber nie. Nun ist es aber inzwischen so, dass du etwas in dir spürst, etwas Drängendes, eine Sehnsucht, und der musst du nachgehen. Du kannst andere nur lieben, wenn du dich selbst liebst. Und dich kannst du nur lieben, wenn du aufhörst, auf andere zu schauen und das Licht in dir entdeckst“.
Missmutig kaute ich auf meiner Lippe. Das artete ein bisschen in Religionsunterricht aus und darauf hatte ich keine Lust. Hoffentlich war er kein Bibelvertreter oder ein Zeuge Jehovas, der mich in seine Sekte bringen wollte! Mit amüsierten Augen beugte er sich zu mir und mit Schreck erinnerte mich daran, dass er meine Gedanken an meinem Gesicht ablesen konnte. Ich wurde rot.
„Ich weiß, das hört sich philosophisch und theoretisch an“, sagte er beruhigend. „Aber dein Wunsch ist: Tiefer Friede. Und Freiheit! Ein hohes Ziel, glaub mir. Nun habe ich eine Frage an dich: Wie war das für dich,
Weitere Kostenlose Bücher