Tropfen im Ozean
schien sacht, vereinzelt zirpten Grillen und betonten die Ruhe. Eine wundersame Stimmung lag über allem.
Der weißhaarige Mann legte den Finger auf die Lippen und schloss leise die Tür. Als wir an der Bank angekommen waren, führte er mich weiter in den Wald zu einer Lichtung. Dort stand ein größeres Zelt aus dunkler Leinwand, ich schätzte die Ausmaße auf drei bis vier Quadratmeter; man konnte aufrecht darin stehen. Er bedeutete mir, die Schuhe auszuziehen, dann betrat ich das Innere des Zeltes. Weicher, dicker Teppich unter den Füßen, Duft nach Jasmin. Ein paar kleine blaue Windlichter, die kaum Licht abgaben, an den Rändern des Raumes. So, wie er es mir aufgetragen hatte, hatte ich zwei Decken bei mir und einen Pashmina-Schal. Der alte Mann zeigte auf eine Ecke und ich ließ mich dort nieder, faltete meine Decken so leise wie möglich zu einem Lager, auf dem ich mindestens eine Stunde unbeweglich sitzen konnte. Auch er nahm Platz. Alles war still und gesättigt von dieser Energie, die, obwohl so oft gefühlt, ich nicht benennen konnte - sie packte mich hier in dieser Schwärze mit voller Wucht. Da war es wieder - dieser Ruf nach innen. Das Loslassen aller Sorgen und Probleme, Ängste und Minderwertigkeitskomplexe. Es zog mich fast schmerzhaft dahin, die Sehnsucht war so stark, dass ich es kaum erwarten konnte, die Augen zu schließen. Ein sanfter Wirbel erfasste mich. Er stieg von meinem unteren Rücken bis hoch in den Kopf und löschte alles aus.
Benommen machte ich die Augen auf, weil ein heller Klang ertönte. Im Zelt war es nach wie vor dunkel, doch Vogelgezwitscher drang durch die leicht zurückgeschlagene Zelttür. Ich blinzelte auf den Lichtstrahl, der durch den Spalt drang, wollte nicht raus, fühlte mich geborgen in diesem Duft, dieser Höhle.
Als das Läuten das zweite Mal erklang, ging ich nach draußen, wo der alte Mann mich mit einem dampfenden Becher erwartete, den er mir schweigend in die Hand drückte. Das Zeug schmeckte scharf, nach Ingwer, aber es nahm mir den Hunger. Gleich ihm saß ich mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt Richtung Osten. Die Sonne ging auf an einem fahlen Himmel als feuerroter Ball, vermischte sich mit leichten Quellwolken, färbte sie rot und orange und mir wurde bewusst, dass ich dieses Schauspiel jeden Tag verschlief.
Nach einer halben Stunde reichte mir der Mann einen schmalen Papierstreifen, auf der eine Zeile in Sanskrit stand.
„Denk nicht nach“, flüsterte er mir zu. „Sing einfach“.
Wieder gingen wir ins Zelt, diesmal machte er Licht für etwa fünf Minuten, bis ich die paar Sanskritworte auswendig konnte und ich über eine Stunde lang den Text zu einer CD sang, die im Hintergrund lief.
Ich fühlte mich anders danach. Etwas pulsierte in mir, war durch die Silben, ihre ständige Wiederholung, in Schwingung versetzt worden. In dieser Stimmung tranken wir Kaffee, aßen Honigbrote, sprachen fast gar nichts und es war das beste Frühstück, das ich je in meinem Leben gehabt hatte.
Schließlich führte er mich in seinen Wohnwagen, ein Riesending mit allem möglichen Komfort, damit ich mich noch bis zu unseren Gesprächen frisch machen und ausruhen konnte. Ich staunte. Am Hungertuch nagte er schon mal nicht oder er hatte sein ganzes Geld in dieses Ding gesteckt. Zum x. Mal nahm ich mir vor, ihn nach seiner Vergangenheit und vor allem seiner Identität zu fragen.
Er war irgendwo draußen und es war noch Zeit, so legte ich mich, wie er es mir angeboten hatte, auf seine kuschelige Couch, ohne müde zu sein. Im Gegenteil: Trotz des frühen Tagesbeginns war ich überaus energiegeladen. Vor allem aber lächelte mein Herz.
„Wie fühlst du dich?“ fragte er, als ich mich neben ihn auf die Bank setzte.
„Super!“ sprudelte ich glücklich. „Wirklich, richtig gut! Das war so schön!“
Er neigte leicht den Kopf zu mir. „Gar nicht so schwer, glücklich zu sein, nicht?“, fuhr er fort. „Gerade hast du ja erfahren, wie wenig man dazu braucht“.
„Ja“, erwiderte ich. „Aber wenn ich so an meinen Job denke... an die Umstände... ich meine, hier bin ich wie unter einer Käseglocke... fernab von allen Störfaktoren – da fällt es natürlich leicht“.
Allein der Gedanke an J, an Emilie, den Job, die schrillen Leute auf den Partys, E!Liza zog mir das Herz zusammen ... die Diskrepanz zwischen ihnen und dem hier war so groß... was sollte das werden, wenn ich wieder zurückmusste?
„Wie innen so außen. Du nimmst, egal wohin du
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