Tropfen im Ozean
Schreibtisch hatte liegen lassen, hatte darin herumgeblättert und sich darüber lustig gemacht.
„ Tugenden kultivieren?“ hatte sie spöttisch gelacht und mit dem Buch gewedelt. „Was soll das denn werden... ‚Schätze im Innern’... du liebe Zeit... wenn ich so einen Arsch hätte wie du, würde ich auch versuchen, die Außenwelt auszuklammern“. Ihr Blick war über meinen Hintern geglitten und sie war etwas zusammengezuckt. Inzwischen war er alles andere als dick.
„Muss das schrecklich sein“, hatte sie dann geätzt und das Buch auf den Tisch geworfen. „wenn man dauernd hungern muss, nur um einigermaßen in eine Hose zu passen“.
Ich hätte ihr am liebsten gegen das Schienbein getreten und der Grundsatz meines Mentors, in jedem Gottes Schöpfung zu sehen, war ganz weit weg.
Wütend erzählte ich WOM davon.
„So viele Jahre hat sie sich an mich geklammert“, sagte ich bitter. „Wie oft hat sie Rat bei mir gesucht! Nie hat sie gefragt, wie es mir geht! Und kaum wähnt sie sich obenauf, trampelt sie auf mir herum! Es fällt mir schwer in ihr Gott zu sehen... ich meine, auf einer intellektuellen Ebene ja... natürlich... wir sind alle miteinander verbunden und so weiter und so fort... aber in der Realität ist es einfach so, dass ich ihr eine reinhauen möchte. Alles andere wäre gelogen.“
WOM lachte leise. „Ach je, nimm dir das nicht übel“, sagte er. „Der Punkt ist, dass du es gerade in solchen Situationen immer wieder versuchen solltest, in ihr das gleiche Licht zu sehen, wie du in dir hast. Schau, wenn du es jetzt schaffst, nobel zu handeln, hast du einen großen Sieg errungen – über dich. Denn wenn du auf eine niveaulose Provokation niveaulos reagierst, ist keiner der Betroffenen besser als der andere. Die subtile Arbeit liegt gerade darin, bei diesem Grundsatz zu bleiben, auch, wenn es dir schwerfällt, auch, wenn du es noch nicht bis ins Innerste fühlen kannst. Das ist das, was ich unter Kultivieren verstehe. Wer sagt denn, dass es leicht ist? Und denk dran – du möchtest nicht so behandelt werden, wie sie dich behandelt. Wenn Menschen zu Geld kommen, oder plötzlich Erfolg haben, zeigt sich ihr wahrer Charakter. Wenn sie dann meinen, anderen auf die Finger treten zu müssen, dann weißt du doch, was von solchen Menschen zu halten ist... aber du willst nicht so sein. Also sei nicht so. Steh drüber. Sieh das Gesamtbild“.
Zweifelnd hörte ich zu. Es war nicht so, dass ich das nicht nachvollziehen konnte, was er sagte. Nur, dass ich es nicht schaffte, liebevoll über Em zu denken. Inzwischen konnte ich Elisha verstehen, die sich schlecht fühlte, wenn es ihr nicht gelang, mit Rob fertig zu werden. WOMs Sätze stießen sich an tausend Kanten, die sich mir auftaten, wenn ich, euphorisiert von einem schönen Gedanken, buchstäblich mit der Realität kollidierte.
„Sie ist schrecklich eifersüchtig auf dich“, sagte er und entlockte mir damit ein sarkastisches Grinsen.
„Genau. Auf meinen Minibusen. Sie sagt genau das Gegenteil – und nicht nur mir, sondern allen, die sie kennt. Und sogar meinen Eltern! Und das, was mich besonders verletzt, ist, dass die immer Emilie glauben. Sie wollen noch nicht einmal wissen, wie meine Sicht der Dinge ist - es genügt Emilies Meinung!“
„Glaub mir... sie ist eifersüchtig“, insistierte er. „... und das sind ihre Auswüchse. Die Chance liegt jetzt darin, das Warum zu erkennen. Warum behandelt sie dich so? Meinst du wirklich, sie schätzt sich selbst so hoch ein, wie du das sagst? Hätte sie es dann nötig, dich so zu behandeln? Du wärst maximal Luft für sie. Aber sie muss dich niedermachen. Warum will man jemanden niedermachen? Frag dich das. Wozu?“
Auffordernd sah er mich an. Konsterniert blickte ich zurück. Wann hatte man Bedürfnis, jemanden klein zu machen? Wenn man sich selbst nicht groß genug fühlte.
„Ich bin also der Rammbock für ihr ramponiertes Selbstbewusstsein?“ fragte ich verdattert, als ich meine Gedanken aussprach. „Und... muss ich mir das gefallen lassen?“
„Nein, eben nicht“, erwiderte er. „Das musst du nicht. Wenn du zu dir stehen würdest, hättest du doch schon längst auf den Putz gehauen. Aber das hast du bislang nicht. Wenn du zu dir stehen würdest, hätte Emilie gar nicht den Mut, so frech zu dir zu sein“.
„Aber...“ sagte ich verwirrt. „... solange sie sich klein fühlt, wird sie immer versuchen, andere noch kleiner zu machen. Du sagst immer, man soll sich eine
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