Tropfen im Ozean
wohltuende Umgebung schaffen... wie passt das alles zusammen?“.
„Schau“, sagte er. „Ich hab gesagt, man solle vor allem mit sich selbst in Frieden und in Harmonie sein – dann ergibt sich der Rest. Denn dann schafft man sich in der Regel automatisch die richtige Umgebung. Ich bin aber nicht der Meinung, dass immer alles Friede, Freude, Eierkuchen sein muss. Wenn das mit Emilie eskaliert, trenn dich! Der Punkt ist: Solange du noch Groll fühlst, hast du dich nicht getrennt. Sie könnte am anderen Ende der Welt sein und würde dich immer noch belasten, als ob sie neben dir säße. Sie kann dich nur denunzieren, solange du das zulässt“.
„Aber...“
„Versteh doch – einer muss aussteigen. Emilie nährt sich von dir. Die Befreiung liegt darin, dass du das Spiel erkennst und dich weigerst, mitzuspielen. Period“.
„Aber wie, WOM... wie?“, rief ich verzweifelt. „Das hört sich in der Theorie immer so toll an – aber wie steige ich denn aus? Es tut mir weh, wenn sie mich schlecht macht, wenn ich keine Chance habe bei meinen Eltern, weil sie ihnen irgendwas erzählt!“
„Ich hab dir die Lösung doch schon mal genannt“, sagte er bedächtig. „Im Übrigen erinnert mich das an eine Aufgabe, die ein indischer Mathematiklehrer seinen Schülern gab... ein Rätsel! Mal sehen, ob du es lösen kannst!“
Mit seinem Stock zog er einen Strich in die Erde vor uns.
„Mach die Linie kleiner, ohne sie zu berühren“, forderte er mich dann auf.
Minutenlang saß ich davor und wusste nicht, was tun. Erst, als er mir seinen Stock in die Hand drückte, fiel bei mir der Groschen. Langsam zog ich eine zweite längere Linie unterhalb des erstens Strichs.
„Siehst du“, sagte er befriedigt und nahm seinen Stock wieder in die Hand. „Und welchen Schluss ziehst du daraus?“
„Dass ich... dass sie...echt, WOM, keine Ahnung. Soll ich sie größer machen?“
„Schau, ihr kämpft beide um das Gleiche“, erklärte er gleichmütig. „... um Liebe von außen. Du trumpfst mit deinem Können auf, sie mit ihrem Aussehen. Überleg doch mal: Was hat sie denn sonst? Nix. Und jetzt macht sie halt auf Esoterik, um vermeintlich mehr Substanz zu haben. Und ihr Überlebensrezept heißt: Je unbeliebter du bist, desto mehr Liebe kriegt sie. Aber damit hängt sie am Tropf – wohingegen du hier und jetzt die Chance auf bedingungslose Liebe hast. Franz von Asissi hat gesagt: ‚Möge ich nicht nach den Fehlern in Menschen suchen’. Du veränderst einen Menschen nur dadurch, indem du an das Gute in ihm glaubst. Liebe ist der Körper Gottes und du siehst – so banal der Satz klingt, so anspruchsvoll ist er in der Umsetzung“.
Getroffen starrte ich vor mich hin. Ich wollte Emilie nicht ändern... ich wollte nur, dass sie aus meinem Leben verschwand!
„Ich hab nicht gesagt, dass du sie ändern sollst“, unterbrach WOM meine Gedanken. „Versteh doch – wir alle übernehmen die Muster und Gedankenwelten aus vielen Leben, aus Kindheitsprägungen und so weiter“, fuhr er sanft fort. „Und vielleicht hat man sein Schicksal, so wie es ist, genau deswegen: Um die Gelegenheit zu haben, sich von unguten Dingen zu lösen. Wie willst du es sonst tun? Wenn alles im bliss ist, änderst du doch nichts! Irgendeine Aufforderung muss das Leben doch haben, nicht?“
Ich nickte. „Du meinst, das Verhalten meiner Eltern und all das Drumherum ist die Chance für den Durchbruch?“
„Jawoll!“ rief er begeistert „Genau! Warum, meinst du, hast du Eltern, die sich nicht die Bohne dafür interessieren, was du tust? Hättest du denn gesucht, wenn sie dich mit Liebe überschüttet hätten?“
„Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn sie es getan hätten?“
„Nein. Wahrscheinlicher ist, dass du dich damit zufriedengegeben hättest“.
„Aber Menschen, die in Liebe erzogen werden sind bessere Menschen. Sie können das weitergeben, was sie bekommen haben... und die, die unter dem Mangel leiden: Wie schrecklich lange dauert es, bis dieser Groll weg ist! Haben die, die Liebe bekommen, nicht eine fundierte Grundlage fürs Leben?“ wandte ich ein. „Das würde ja bedeuten, dass es besser wäre, Kinder zu vernachlässigen...“
„Ach, du siehst mal wieder schwarz-weiß“, tadelte er. „Natürlich ist das besser, wenn Kinder geliebt werden. Aber man sollte ihnen auch klarmachen, dass die Liebe innen im eigenen Herzen steckt... wenn dann die Liebe eines Elternteils wegfiele, gibt es immer noch Liebe... verstehst du? Und nicht
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