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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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Rhythmus. Mein Herz klopfte wie wild. Dann kamen wir am Zelt an.
    Er hatte ein Kabel gelegt und einen Heizlüfter laufen, es war kuschelig warm. Sogar eine Wärmflasche hatte er mir gemacht, die er mir an den Rücken legte, als ich mich setzte und mich in meinen Schal wickelte. Er sprach kein Wort. Dann holte er ein kleines, reich mit Perlen und bunten Steinen verziertes Schmuckkästchen, nahm den Deckel ab, tupfte mit den Fingern hinein und rieb mir drei Striche über die Stirn. Es fühlte sich sandig an, leicht rau. Dabei murmelte er etwas, ich weiß nicht was. Meine Augen fielen wie von selbst zu, zeitgleich brüllte unten in mir das Monster auf und trieb diese unaussprechliche Panik nach oben. Mit einem Keuchen öffnete ich zutiefst erschrocken die Augen und krallte mich an WOMs Arm, der noch vor mir kniete. Seine Augen blickten ruhig und ernst.
    Ich verstand. „Sei mutig“, sagten sie. „Es ist soweit“.
     
    Wumm. Augen zu. Andre Welt, andere Zeit. Mein Körper fängt an zittern. Ich kann gar nichts dagegen machen. Er schaukelt so stark hin und her, dass ich meine, gleich umzufallen. Etwas schüttelt mich durch wie einen Kartoffelsack, schlägt mich aus wie ein Stück nasse Wäsche. Gleich stürze ich auf den Boden, ich falle, ich falle! Aber ich lande immer wieder auf meinen Sitzknochen. Furcht kriecht hoch wie ein schwarzes Gewächs und mein Körper schleudert hin und her, hin und her... ich werde wahnsinnig, denke ich. Das ist Wahnsinn... ich werde wahnsinnig! Und auf einmal kommt ein kehliger Laut aus meinem Mund und ich krampfe mich zusammen. Ich schreie, anders als im Traum, dann weine ich und mein Mund artikuliert Worte... er flüstert: Immer allein, immer allein... du bist immer allein... niemand kommt... egal, was passiert, sie lassen dich alle im Stich... du bist immer allein...“
    Was ist das? Wer sagt das? Was soll das? Immer noch bin ich meinen Körperreaktionen ohnmächtig ausgeliefert, kann mich nicht wehren gegen diese unsägliche, eisige Einsamkeit, dieses Abgetrennte, die verzweifelten, nutzlosen, ungehörten Hilferufe. Tränen strömen über meine Wangen und ich weine, wie ich noch nie in meinem Leben geweint habe. Noch nicht einmal damals, als ich das erste Mal auf WOM getroffen war. Da hatte ich mich gebremst, aber diesmal wehre ich mich kein Stück mehr, bin ich ein einziger Tränenstrom und lasse alles raus, alles zu, versenke mich in den Schmerz. Inzwischen liege ich auf dem Boden und umklammere meinen Unterleib, merkwürdige Laute ausstoßend, bis keine Tränen mehr da sind. Dunkel. Schweigen. Das Weinen ist weg.
    Dann: Im Bruchteil einer Sekunde richtet mich etwas auf, zieht mich in die Höhe und ich sitze in meiner üblichen Meditationshaltung still und achtsam da, als hätte es den Heulkrampf nie gegeben. In mir ist es so schlagartig ruhig, die Krämpfe so blitzartig vorbei, als sei ich in das Auge eines Sturmes geraten.
    Schwärze. Stille. Leere. Wo bin ich? Ich schaue mich um, ich hab keinen Körper. Etwas schaut sich um. Wer? Doch dann tauchen Bilder auf, Szenen, so scharf, wie ein Film in HD. Ich sehe mich. Stehe auf der Straße mit anderen Kindern. Wir spielen. Ich bin froh, heiter, ausgelassen.
    Schnitt.
    Meine Mutter ruft mich zum Essen. Sie hat Brote gerichtet und streckt ihre Arme nach mir aus, als ich hoch komme. Ich renne auf sie zu und werfe mich hinein. Sie drückt mich an ihr Herz. Ich bin rundum und vollkommen glücklich. Ist das wirklich passiert? Verwundert nehme ich dieses Gefühl wahr: rundum glücklich zu sein. Wie ein Duft schwebt diese Empfindung vorbei.
    Es ist Abend. Sie bringt mich ins Bett. Sie küsst mein Gesicht und streichelt mich, deckt mich zu, windet die Decke um meine kleinen Füße, küsst mich erneut. Ich bin schon eingeschlafen. Satt. Selig. Voller Vertrauen. Mama ist da.
    Szenenwechsel. Meine Mutter geht mit mir zur Nachbarin. Ich sehe zu, von oben, außerhalb von mir. Frau Tremel hat wie meine Mutter Ausgehkleidung an. Sie gehen weg, aber Herr Tremel ist da. Er nimmt meine Hand und führt mich in die Küche.
    „Möchtet du was trinken?“ fragt er und ich nicke mit glänzenden Augen. Bei Herrn Tremel gibt es immer Orangenlimonade, die kriege ich bei meiner Mama nie. Ich trage ein hellblaues Kleid mit einem dunkelblauen Band auf Brusthöhe und setze mich auf einen Stuhl, während Herr Tremel die Limo holt. Sie schmeckt nicht so gut wie sonst. Er schaut mit mir ein Buch an, aber die Bilder verschwimmen vor meinen Augen. 
    „Bist du

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