Tropfen im Ozean
Schmach. Und das war der Moment, wo E!Liza einsprang“.
Wieder drückte er ein Taschentuch gegen seine Augen. Er blickte nach oben in die große Kamera, als ob sie ein Mensch wäre, der ihm zuhörte. Rob und ich wagten kaum zu atmen.
„Sie hat einen kuriosen Plan entwickelt. Sie sagte, ‚du wirst dein Geschäft wieder aufbauen ohne diesen Makel’. Wenn nicht dieses andere gewesen wäre, wäre es mir egal gewesen, ob ich den Offenbarungseid leiste oder nicht. Dann wäre ich einfach woanders hingezogen und hätte von vorne angefangen... wie die Leute in Amerika, aber so...“
Welches ‚andere’ wollte ich nachhaken, aber Herr Hänsler fuhr fort: „Ihr Plan war, unseren Namen sauber zu halten mit allen Mitteln. Sie redete mit jedem Gläubiger und einigte sich auf eine Summe, die sie zurückzahlen wollte. Die meisten waren froh, überhaupt noch Geld zu sehen, und so wurde allein dadurch der Schuldenberg auf die Hälfte reduziert. Um den dann zu stemmen, hatte sie vor, sich in der Glitterbranche zu etablieren, mit bizarren Auftritten, Interviews, Werbeaufnahmen aufzufallen, um irgendwann die eigene Sendung mit festem Einkommen zu haben... das war ihr Ziel ...“.
„Und das hat funktioniert?“ fragte ich, maßlos erstaunt.
„Ja, wie man sieht. Sie hatte eine Idee nach der anderen und sie gab kaum etwas für sich aus. Sie sehen ja, was sie anhat. Meine Frau hat ihr Stoffe besorgt... Decken... Bettbezüge... Vorhangstoffe...“
„Wie Scarlett o’Hara...“ murmelte Rob.
„Ja, wie Scarlett“, nickte der Vater und man sah trotz der Dramatik Stolz in seinen Augen. Und Liebe.
„Wenn sie einen Liebhaber hatte“, fuhr er fort. „... der ihr Geld für Kleider oder anderen Schnickschnack überließ, hat sie das sofort der Bank zukommen lassen. Manchmal waren es nur Kleinbeträge, aber sie ist so eisern... sie hat jeden Cent geschätzt... sie sagte immer: ‚Kleinvieh macht auch Mist’ und hat alles auf die Seite gebracht. Das meiste, was sie an Markenkleidern trug, hat sie sich von Freundinnen geliehen, die ihre Größe hatten. Sie hat Modehäuser angerufen und ihnen erklärt, dass sie Werbung für deren Abendgarderobe laufen könne, wenn sie ihr die Kleider kostenlos zur Verfügung stellen. Mit der Zeit kamen immer mehr auf E!Liza zu, je öfter sie im Fernsehen und auf diesen In-Partys und damit in den Zeitschriften zu sehen war. Die Kleider durfte sie oft behalten und die versteigerte sie dann bei ebay oder hat sie sonst wie an den Mann gebracht. Sie hat alles zu Geld gemacht, wo sie nur konnte. Manche Reporter kannte sie persönlich und hat sie informiert, wenn sie wieder etwas vorhatte. Damit hatte sie bei denen natürlich einen Stein im Brett, weil die dann in der vordersten Reihe sitzen konnten, wenn es losging. Haben Sie sich nicht gewundert, wo die Presse überall auftauchte? Sogar in der Schule? Das war alles geplant. Die Reporter hatten die Story, sie die Schlagzeile. Nach einer Zeit ergatterte sie den Werbeauftrag für dieses Müsli und danach den für den Schokoriegel, was uns über längere Zeit richtig große Summen bescherte. Und ein sehr großer Batzen kam dann durch den Song zustande, den sie mit dem Rapper aufnahm, der inzwischen in aller Munde ist. Dafür kriegt sie heute noch Tantiemen. Sie bekam mit der Zeit immer mehr Angebote, gerade für ihre Auftritte in diesen seltsamen Kostümen, die sie sich ausdachte... sie hat innerhalb von acht Jahren fast meine ganzen Schulden abgetragen und noch mehr...“
Stumm wechselten Rob und ich einen Blick.
„Was... was meinen Sie mit ‚noch mehr’?“, fragte ich betroffen von dieser Wendung „...und von welcher ‚persönlichen Katastrophe’ haben Sie vorhin gesprochen?“
Der Mann schloss abrupt den Mund. Es schien, als ob Erinnerungen ihn überschwemmten, heiß und schwer, er bedeckte die Augen mit der Hand und senkte den Kopf. Als er wieder aufblickte, rannen erneut Tränen die faltigen Wangen hinunter. Rob bewegte sich behutsam um ihn herum, er war so unauffällig wie er nur konnte. Ich sah, wie er auf Hänslers Gesicht hielt und legte meine Hand tröstend auf dessen Bein. Er nahm sein Taschentuch, wischte sich die Augen.
Mit rauer Stimme sagte er. „... was viele nicht wissen, ist, dass Elisabeth eine Einserschülerin war. Sie hat immer herausragende Leistungen erbracht. Sie war immer konsequent. Als das alles passierte, war sie gerade achtzehn Jahre jung. Da hat man sein Leben vor sich. Sein ganzes Leben. Sie wollte Jura studieren.
Weitere Kostenlose Bücher