Tropfen im Ozean
Stolz. „Meine Güte, meine Tochter hat solche Kontakte! Das ist grandios! Gunda, hast du gehört? Ihr Film wird im Fernsehen gezeigt!“
„Na, so was“, sagte meine Mutter aus der Küche.
Ich war stolz wie Oskar. Papa lud alle Verwandten, seine Bekannten und Freunde ein, erklärte ihnen, dass ich es sei, die den Film gemacht habe und dass aus mir doch noch was geworden wäre.
Ich war glücklich.
„Wie wäre es, wenn wir auf die Kanaren fliegen?“ fragte ich J. „Da ist das Wetter selbst Ende November noch schön, wenig Touristen, der Flug nicht zu lang... wir könnten das Spa nutzen...“
Ich träumte von Strandspaziergängen, von wohltuenden Massagen, von Zeit, die wir beide haben würden, fernab von Hektik und Alltag, Zeit, die uns erlauben würde, uns näher zu kommen. Und noch besser: Ende November wäre nicht unbedingt Bikini-Zwang.
„Ja, mach mal, das ist eine gute Idee“, sagte er und notierte sich irgendwas im Kalender. „Ich hab übrigens übermorgen den Termin mit dem Produzenten des Senders, den ich auf der Party kennen gelernt hab. Drück mir den Daumen!“
„Das tu ich“, sagte ich und war sicher, dass das sowieso nicht nötig war.
Wir schliefen immer bei ihm, eine gewisse Vertrautheit machte sich breit. J wusste, wie ich aussah, wenn ich morgens aufwachte. Er kannte meinen Hintern, der aufgrund der vielen Arbeit wieder mal nicht sehr appetitlich aussah, und er war trotzdem mit mir zusammen. Das ließ mich hoffen, dass man nicht immer eine 34 -Figur brauchte, um geliebt zu werden. Umgekehrt kannte ich nun einige nicht sehr attraktive Details über ihn. Er schmatzte, schlürfte und rülpste ungehemmt, wenn er zuhause war und ließ bei seinen Geschäften stets die Toilettentür offen. Laut hörte ich seinen Strahl oder anderes in die Schüssel plätschern, ob ich nun beim Essen saß oder ein Buch las. J machte nie die Tür zu. Zuhause war J alles andere als der manierliche Selfmademan, den er nach außen mimte. Und dieses Wissen relativierte zumindest etwas mein labiles Selbstbewusstsein.
Am Morgen, als er zu diesem Chefproduzenten fahren wollte, lag ich noch im Bett. Es war Samstag und ich genoss es, zum ersten Mal seit langen anstrengenden Monaten, etwas länger zu schlafen.
Später würde ich ins Büro gehen - die Sieben-Tage-Woche war für uns beide völlig normal und in Fleisch und Blut übergegangen.
J war schon im Anzug, drückte mir einen Kuss auf die Wange, sagte: „Denk dran! Daumen drücken!“ und war verschwunden.
Kurz darauf klingelte sein Handy. Verflixt, er hat sein Handy vergessen, war mein erster Gedanke. Es klingelte in Bettnähe und ich machte mich auf die Suche. Dann fand ich es. Es lag unter dem Bett unter einer vergessenen Autozeitschrift und es war nicht seins.
J wollte erst am Dienstag zurückkommen. Am Sonntag würde der Krone-Film übertragen werden. Das gefundene Handy und die Brünette rumorten in meinem Hirn und verdarben mir alles. Ich hatte nicht den Mut gehabt, die Nummer zurückzurufen.
Auf der Fahrt zu meinen Eltern arbeiteten die unterschiedlichsten Gefühle in mir, die noch vielfältiger wurden, als meine Mutter mich mit drei aufgeschlagenen Boulevard-Zeitungen in der Hand empfing:
J auf dem roten Teppich: „Der Newcomer der Branche - die Erfolgsgeschichte von JC“.
J im Blitzlichtgewitter :„Emotion und Feingefühl – die Filme Colberts machen Furore“ .
J mit einer bekannten, attraktiven Schauspielerin an der Bar. „JC - das Kleinod in der Branche – und in der Männerwelt – smart, exklusiv... und äußerst scharf.“
„Und?“ fragte meine Mutter. „Wo bist du?“
Das Haus füllte sich, die Bekannten kamen alle. Das Wohnzimmer war voll, der Tisch bog sich vor Essen. Mein Vater war mit der Bewirtung und Betreuung der Leute vollauf beschäftigt. Natürlich konnte er sich nicht um mich kümmern. Er war völlig fixiert auf den Film und seine Gäste. Plötzlich kam ich mir blöd vor, dabei zu sitzen und darauf zu warten, dass mir diese Menschen nach dem Abspann auf die Schulter klopften. War es wirklich das, was ich wollte? Würde mich das glücklich machen? Machte dieser Film meinen Vater glücklich? Warum? Weil Zehngold drin war?
Es war keine Zeit, diesen Philosophien zu folgen, der Moderator brachte ein Bild von J, eines von denen, die ich gerade in den Illustrierten gesehen hatte, und sagte:
„Jean Colbert, ein aufstrebender Produzent, besticht durch seine feinsinnigen Firmendarstellungen –
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