Tropfen im Ozean
wurden unsere Einladungen gecheckt. Und sowie wir aus dem Auto ausgestiegen waren, war er verschwunden.
Ich hatte kaum den Veranstaltungssaal gefunden, durch so viele schlecht beschriftete Gänge war ich gelaufen, bis mir endlich jemand den Weg gewiesen hatte.
Nun stand ich herum wie Falschgeld, kannte niemanden, suchte J, um wenigstens etwas zu tun zu haben, floh schließlich auf die Toilette, blieb dort zehn Minuten und sagte mir dann: Wenn J keinen kennt und Kontakte knüpfen kann, kann ich das auch. Mutig wagte ich mich wieder in die Höhle des Löwen.
Herr Zehngold hatte Recht gehabt: Hier war alles vertreten. Dicke Manager im Smoking, Dressmen wie J, die einem Katalog oder amerikanischen Blockbustern entsprungen zu sein schienen, oder total verrückte Typen, die geschminkt und geschmückt in den kuriosesten Klamotten herumstiefelten. Etliche hatten Sonnenbrillen auf. Andere waren in karierte Knickerbocker gekleidet, das Haar wie in den 30ern streng zur Seite gescheitelt, die Augen mit einer dicken Hornbrille akzentuiert. Dazu trugen sie feminin wirkende Taschen mit sich herum und standen Händchen haltend mit Männern, die das genaue Gegenteil gaben: In Lederklamotten gepresst, Piercing in der Nase, die Frisur gewollt verwahrlost.
Die Damen boten noch mehr Vielfalt. Einige wenige hatten wie ich lange Kleider an – ich stellte fest, all diejenigen, die trotz Lifting wie über 45 aussahen. Und selbst deren Kleider waren meist noch mit äußerst großzügigen Ausschnitten versehen, die die Vorderansicht freilegten, den Ansatz des Hinterns zeigten oder zumindest einen durchtrainierten Rücken. Entsetzt registrierte ich: Ich trug mit Abstand das langweiligste Outfit. Die meisten waren in ultrakurze Cocktailkleider gewandet, stellten ihre knackigen Körper zur Schau, lange, durch High Heels überbetonte Beine, die in verheißungsvollen Minihinterteilen endeten. Ich sah aussichtsreiche Dekolletés, raffiniert geschnittene Kleider, die mehr zeigten als bedeckten, und geschminkte Gesichter mit so stark betonten Augen und Mündern, dass ich mir wie Gretchen Hausfrau mit Kartoffeleimer am Arm vorkam.
Ein grelles Lachen gellte durch den Raum. Und da... da sah ich sie. Zum ersten Mal. Das Sternchen. Par excellence.
Eine Frau stand in der Mitte des Saals, angetan mit einer platinblonden immensen Hochfrisur, die in der Mitte mit einem schwarzen Totenkopf geschmückt war. Sie trug ein durchlöchertes Leopardenkleid, dem an strategischen Stellen der Stoff fehlte: Ein Riesenpiercing glitzerte aus dem Loch um den Nabel und offenbarte einen extrem flachen Bauch, am Rücken fehlte der Stoff bis tief zum Steiß hinunter, dann ein kleines strass-umrandetes, herzförmiges Loch an der rechten Pobacke und ein größeres, rundes an der linken Brust, so dass ihr wunderbar geformtes C-Körbchen nach außen drängte. Die Brust war im Muster des Kleides bemalt, dass man auf den ersten Blick gar nicht erkannte, dass sie nackt war, die Brust. Das Kleid endete knapp unter einem äußerst knackigen Hintern und zusammen mit dem Totenkopf auf der platinblonden Perücke und den gemusterten Strümpfen, die wie Tattoos wirkten, sah sie aus wie eine durchgeknallte Schamanin, wären da nicht diese schrecklichen rosa Lady-Gaga-Plateauschuhe gewesen. Sie hatte trotz Rauchverbot eine Zigarette in einem langen Halter wie seinerzeit Audrey Hepburn in der Hand. Ihr Gesicht hingegen war wie ein Albino geschminkt – weiße Wimpern, rote Kontaktlinsen, bleiche Lippen, weiße Pantomimenschminke im Gesicht, knalliges Rouge.
Blasiert stand sie in einer Gruppe von Menschen. Ihr Mund blies lasziv Rauchringe in die Luft und sie sagte etwas, über das alle lachten. Neugierig trat ich näher. Wer war das?
„Eliza!“ rief da gerade jemand, und als sich ihr Kopf in Richtung Stimme wandte, kannte ich schon mal ihren Namen. „Stimmt es, dass Sie Seminare für Jugendliche geben wollen?“
„Sicher“, sagte sie. „Die Kinder sollten ein bisschen Praxis bekommen... und Spaß! Die armen Kleinen wissen ja gar nicht, was sie erwartet, wenn sie mit dem wirklichen Leben konfrontiert werden... das Leben ist ein Spiel! Und sie sollten die Spielregeln so schnell wie möglich kennenlernen...“ Ihre Stimme hatte einen überaus ironischen Klang.
„Und an welche Tipps denken Sie so?“ Offensichtlich war das ein Reporter, der sie das fragte, denn er hielt ein Mikro in ihre Richtung.
„Wie man in unserer Gesellschaft überlebt“, antwortete Eliza mit
Weitere Kostenlose Bücher