Tropfen im Ozean
Wald meine Seele erhellt, war er Zuflucht, das Versprechen, allein mit sich sein zu dürfen, geborgen zu sein. Ich liebte die geniale und so absichtslos entstandene Komposition verschiedener Grüntöne, die Farbtupfer der Jahreszeiten dazwischen, Beeren und Blüten im Sommer, bunt leuchtendes Laub im Herbst, frisches, helles Grün im Frühling, das ewige, dunkle der Nadeln und das smaragdene des Mooses. All das war wie Balsam in diesen Tagen, hatte eine heilende Wirkung, bewahrte mich vor dem Zusammenbruch, den ich immer nahen fühlte, wenn meine Gedanken einen Morast spannen, in dem ich zu versumpfen drohte.
Die Qual in mir, die ungelösten Dinge, schaute ich nicht an. Ich fühlte, dass ich das nicht konnte.
Fünf Tage die Woche lief ich. Das fiel mir nicht leicht. Jedes Mal musste ich diesen Schweinehund überwinden, der hartnäckig an mir klebte, ohne auch nur einmal für die Dauer der wenigen Kilometer, die ich schaffte, Ruhe zu geben. Ich ernährte mich gesund - auch das fiel mir nicht leicht. Meine irritierten Geschmacksnerven wollten Geschmacksverstärker und Hackbraten, fette Bratkartoffeln mit Bacon statt Salat und Gemüse.
Zwei Wochen war es nun her, dass ich nicht zur die Arbeit gefahren war – ich weigerte mich an die anderen zu denken. Nach wie vor waren Telefon und Klingel abgeklemmt. Ich wollte J nicht sehen und ich wollte meine Eltern nicht sehen. Und schon gar nicht Emilie. Ich wollte keine Paparazzifilme schneiden und im Müll anderer Leute herumwühlen, um etwas besonders Ekliges herauszuholen. Immer, wenn ich an all das dachte, stieg dieser unendliche Zorn hoch, von dem ich fühlte, dass ich ihn nicht zähmen konnte, wenn ich ihn einmal frei ließ. So drängte ich einfach mein bisheriges Leben wider besseres Wissens in die Ecke. Ich brauchte Antworten, aber ich fand keine und so blieb mir nur, mich abzulenken.
„Gott“, sagte ich mutlos in die Stille meines Wohnzimmers hinein. „Es heißt, du bist da, wenn man dich braucht. Also gib mir eine Antwort. Irgendeine. Zeig dich mir.“
Im Internet stöberte ich in Urlaubsangeboten, betrachtete verzückt die paradiesischen Inselstrände des Indischen Ozeans... einfach wegfliegen...da kam mir ein anderer Gedanke. Warum nicht ein Haus kaufen? Im Grünen? Die Wohnung hier war schön, aber ich hörte die Mieter von unten und das Panoramafenster zeigte mir einen von Taubendreck verunzierten Dächerwald. Ja, ein Haus im Grünen! Allein sein! Niemand um mich herum!
Und dann, mit einem Mal, ein Blitz in meinem Hirn, fiel mir das Haus ein - das Haus des Millionärs, hinter dem J her war und an dessen Tor ich als Kind so oft gestanden war, mit dem Gesicht an die verschnörkelten, schmiedeeisernen Verzierungen gepresst. Ich hätte Stunden dort stehen können, hätten meine Eltern mich nicht irgendwann gerufen. Hatte auf Elfen und Froschkönige gewartet, auf eine Märchenfee mit einem Zauberstab, die mir sagten, ich sei als Kind verwechselt worden und käme nun in mein rechtmäßiges Zuhause. An diesem Tor hatte ich immer das klare Empfinden gehabt, dass da mehr ist, als das, was man mit bloßem Auge sehen konnte. Ich hatte ein klares Gefühl von Würde und Erhabenheit gespürt. Aber nie war jemand aufgetaucht oder war etwas passiert und mein Glaube an Wunder mit der Zeit gestorben. Als Kind hatte ich das Zauberschloss, wie ich es gedanklich genannt hatte, nie gesehen. Ich packte meine Autoschlüssel und fuhr los.
Schon etwa einen Kilometer vorher waren nur noch vereinzelt Häuser zu sehen, endete das Wohngebiet. Ich ließ den Wagen an einer Straßenecke stehen und ging die letzte Strecke.
Hinter einer scharfen Biegung lag ein unscheinbarer, mit weißlichen Steinen gesprenkelter Feldweg, auf dem der erste Löwenzahn blühte.
Es war ruhig hier. Kein Straßenlärm, keine Menschen, nur wohltuende Stille, die von Vogelgezwitscher und dem Rauschen des Windes unterstrichen wurde. Man fühlte sich wie abgeschnitten von der übrigen Welt. Eine eigenartige Atmosphäre lag über diesem Besitztum. Ich blieb kurz stehen, um das zu greifen... es war, als ob die Stille hier klarer war. Langsam ging ich weiter.
Bald musste das Tor kommen. Ob es überhaupt noch da war? Mein Herz klopfte.
Sonnenlicht fiel wie Tropfen durch die zart belaubten Bäume und malte Kringel und Schatten auf den Weg. Und Sonne fiel auf das Schmiedeeisen des Tores, das wie eine Verheißung vor mir auftauchte und dessen Spitzen und Ornamente mit Gold verziert waren, tauchte es in
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