Troposphere
nicht. Ich lasse die Atome einander nicht zu nahe kommen.
Adam dreht sich wieder zum Fenster um. Diesmal öffnet er die Vorhänge und schaut hinaus.
»Schneit es immer noch?«, frage ich. Das erinnert mich an ein Zitat: Sag mir, mein Liebling, schneit es immer noch? Aber ich kann mich nicht erinnern, wo es steht. Vielleicht ist es in dem Zitat nicht mal Schnee. Vielleicht ist es Regen.
»Nein.« Er seufzt. »Ich hätte am Dienstag in deiner Wohnung bleiben sollen.«
»Dann hätte ich auch nicht mit dir geschlafen.«
Hörst du zu, Gott?
Er nickt. »Du findest mich nicht attraktiv.«
»Das ist es nicht. Ich glaube, es liegt eher daran, dass ich mich selber nicht so attraktiv finde.«
»Das hört sich in meinen Ohren nach Scheiße an.«
»Tut mir leid. Du hast recht. Aber ich kann einfach nicht. Ich will es – aber ich kann einfach nicht.«
Jetzt dreht er sich wieder zu mir um. Er schaut mir allerdings nicht in die Augen. Es gibt keine Verbindung – was auch immer das für eine verdammte Verbindung ist, wenn jemand den Blick auf deine Augen richtet und du deinen auf seine und es sich eine Sekunde lang so anfühlt, als wärt ihr Maschinen, die in dieselbe Steckdose eingestöpselt sind, oder als wäre einer von euch die Maschine und der andere die Steckdose. Maschinen, Steckdosen, elektrischer Strom, Kraftlinien … Unsere Augen sind vielleicht nicht verbunden, aber alle übrigen Kraftlinien sind immer noch da, und sie ziehen mich auf ihn zu.
»Aber du willst es doch? Du willst mich doch?« Er spricht so, als hätte man ihm gesagt, dass er eine unheilbare Krankheit, aber noch ein Jahr zu leben hat. Ist es möglich, Sex derart ernst zu nehmen? Ist es möglich, Sex mit mir derart ernst zu nehmen? Patrick sagt, dass ich ihm etwas »antue«, aber alles, was ich ihm wirklich antue, ist, ihm unausgesprochen zu versprechen, dass ich ihn damit versorge, womit ich ihn immer versorge: schmutziger Sex ohne Verpflichtungen. Aber wenn er mich nie wiedersähe, würde ihm das vermutlich nichts ausmachen. Will ich Adam? Na ja, das ist leicht zu beantworten.
»Ja. Aber es geht nicht. Ich bin für dich nicht die Richtige.«
»Du weißt, ich habe noch nie …« Er lässt den Satz wegtreiben wie eine Schneeflocke, die schmilzt, bevor sie landet.
»Ich weiß. Das ist noch ein Grund. Die Sache ist die, dass ich schon habe. Und zwar Tausende von Malen mit Hunderten von Leuten.«
»Ariel, um Gottes willen.«
»Was ist?«
»Warum sagst du das so?«
»Wie?«
»So als würdest du versuchen, den Eindruck zu erwecken, als wärst du … Ich weiß nicht.«
»Als wäre ich eine Schlampe?«
»Ich würde es nicht so formulieren.«
»Nein. Dafür bist du zu nett.« Ich beiße mir auf die Unterlippe.
»Ach, red keinen Scheiß. Du hältst mich für nett, weil ich mal Priester war. Ich will nicht nett sein. Ich will …«
»Was? Willst du so sein wie ich? Willst du unnett sein? Willst du schmutzig sein? Na ja, dann komm schon.« Ich beginne den Morgenmantel auszuziehen. »Ficken wir eben im Priorat. Nimm dir ein bisschen von dem, was ich habe. Schau mal: Hier ist etwas von dem, was ich habe.« Ich halte die Arme hoch, sodass die Handgelenke nach außen zeigen, als wollte ich irgendetwas wegschieben. »Das ist beim letzten Mal passiert, als mich jemand gefickt hat.«
Adam kommt auf mich zu, und einen Moment lang stelle ich mir vor, dass er auf dem Weg ist, mein Nachthemd aufzureißen und mich auf das Bett zu stoßen. Ist es das, was ich von ihm will? Oder will ich, dass ich ihm leidtue mit meinen verletzten Handgelenken und meinen Hunderten von Sexpartnern? Aber seine Augen sind so unbewegt wie Fossilien, als er direkt an mir vorbeigeht und das Zimmer verlässt. Was ich auch haben will, ich werde es nicht bekommen. Er ist weg.
Eine halbe Stunde später bin ich immer noch allein in dem kalten Zimmer. Ich schlüpfe unter die Bettdecken, um warm zu werden. Dann schlucke ich etwas von der Tinktur aus dem Fläschchen und stelle es auf den Stuhl neben dem Bett. Ich mache mich lang und schaue auf den schwarzen Kreis, bis diese Realität sich in die zu verschieben beginnt, die ich mehr und mehr vorziehe.
Diesmal dauert es überhaupt nicht lange, durch den Tunnel zu gelangen. Aber als ich auf der anderen Seite herauskomme, ist es anders. Die Straße, an die ich mich so gewöhnt habe, gibt es nicht mehr. Stattdessen stehe ich auf einem Marktplatz mit grauen Pflastersteinen, der angesichts der zahllosen Herrenhäuser und Burgen, die ihn
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