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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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wahrscheinlich immer noch der attraktivste Mensch, den ich je gesehen habe, und eine Sekunde lang kann ich nicht glauben, dass er hier mit mir in diesem Zimmer ist, mit seinen langen ungewaschenen Haaren und den alten Klamotten in allen erdenklichen Grauschattierungen, als wäre so viel mehr an ihm als nur Fleisch, so viel mehr als nur Atome. Es wäre ein Leichtes, einfach die Augen zu schließen und ihn zu empfangen. Aber er würde dann wieder gehen, und ich bliebe zurück mit dem, was ich getan hätte. Ich will nicht, dass er geht. Ich kann keinen Sex mit ihm haben, also werde ich ihn weiter in Gespräche verwickeln müssen. Und dann könnten wir vielleicht einfach Arm in Arm einschlafen? Sei nicht blöd, Ariel. Hier wäre das genauso schlimm wie Sex.
    »Man könnte sagen, wir glauben an eine gemeinsame Kultur«, sage ich.
    »Auf was würde die beruhen?«
    »Auf einer gemeinsamen Sprache. Ich meine, wir haben tatsächlich eine gemeinsame Kultur, und diese Kultur besteht aus Dingen, die wir zerlegt und etikettiert haben, wie von den Naturwissenschaftlern des neunzehnten Jahrhunderts alles klassifiziert wurde. Natürlich diskutieren Leute immer noch über all diese Klassifizierungen. Sind zwei einander ähnliche Fische tatsächlich eine Fischart oder zwei? Ist alles verschieden von allem Übrigen, oder ist alles das Gleiche?«
    Er schaut mich mit dem übellaunigsten Gesichtsausdruck an, den ich je gesehen habe, alles in seinem Gesicht weist nach unten, und sogar sein Blick geht jetzt zu Boden. Aber ich denke immer noch, dass ich in ihm ertrinken will; ich will in einem Pool voll von übellaunigem, angepisstem Adam ertrinken. Ich will ihn jetzt noch viel mehr, seit er sauer auf mich ist, weil ich nicht mit ihm schlafen wollte. Es ist, als wären die Kraftlinien zwischen uns elastisch geworden und versuchten, sich zusammenzuziehen. Sind wir verschieden voneinander oder dieselben?
    Da er kein Wort von sich gibt, fahre ich fort.
    »Welchen Kriterien zufolge kann man sagen, dieses Ding ist dort zu Ende, und hier beginnt ein anderes? Was genau ist ›sein‹ eigentlich? Solange du nicht auf die atomare Ebene hinuntergehst, scheint es keine Räume zwischen den Dingen zu geben. Selbst Zwischenräume wimmeln von Teilchen. Aber wenn man sich Atome aus der Nähe anschaut, begreift man, dass es kaum etwas anderes als Zwischenräume gibt. Du kennst doch sicher diese Analogie, dass ein Atom wie eine Sporthalle mit einem Tennisball in der Mitte ist. Nichts ist wirklich mit etwas anderem verbunden. Aber wir schaffen in der Sprache Verbindungen zwischen den Dingen. Und wir benutzen diese Klassifikationen und die Räume zwischen ihnen, um eine Kultur wie diejenige zu erschaffen, in der wir jetzt leben und aus der heraus wir beide verstehen, dass es falsch wäre, in einem Priorat miteinander zu schlafen, in dem ich zu Gast bin.«
    Adams Augen sind hart, aber seine Stimme ist jetzt weich.
    »Warum ist das falsch?«
    »Komm schon, du weißt, warum. Wir würden bei allen hier Anstoß erregen, wenn die wüssten, was los ist.«
    »Aber das wäre doch mit Sicherheit ihr Fehler, weil sie das mit den Atomen nicht verstehen.«
    »Findest du? Aber unsere Kultur sieht das anders. Stell dir vor, du würdest das als Argument gegen eine Mordanklage benutzen. Aber Euer Ehren, ich hab sie nicht wirklich erstochen, weil die Atome in dem Messer die Atome in ihrem Körper nie berührt haben. Wir können nicht einfach aus der Kultur aussteigen, wenn sie uns nicht in den Kram passt. Na ja, wir könnten schon – oder wir könnten uns zumindest weismachen, dass wir es getan hätten –, aber wir hätten trotzdem ein schlechtes Gewissen.« Ich seufze. Es ist ziemlich einfach, so zu reden, aber es ist nicht einfach zu erklären, was ich tatsächlich empfinde. Was soll ich sagen? Adam, ich will dich nackt sehen. Ich will deinen Schwanz lutschen und mich auf den Rücken legen und mich von dir ficken lassen, aber nicht in einem Priorat, weil ich mir dann schmutzig und böse vorkomme, und ich werde vermutlich bald sterben, und obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich an den Himmel glaube, habe ich kürzlich ein Wesen gesehen, das behauptete, ein Gott zu sein, und deswegen will ich mir nicht im letzten Moment noch meine Chancen versauen.
    Und dann denke ich wieder an Derrida. Es ist, als ob ich an einer Art Auktion teilnähme, und mein letztes Gebot für Reinheit sei dies: Ich denke an seinen Schwanz in meinem Mund, aber ich spreche nicht davon, und ich tue es

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