Troposphere
mancher Hinsicht war es toll, einen kleinen Kumpel bei dir zu haben, der mit dir durch diese verrückte Landschaft wanderte … Aber sobald du bei jemandem im Kopf warst, kamst du dir ein bisschen wie die mittlere Figur einer russischen Puppe vor. Das Kind, die kleinste Figur, war eine Stimme in beiden Köpfen, und man musste lernen, sich auszuklinken, während das Kind der betreffenden Person zu tun befahl, was man von ihr wollte. Denn diese KIDS waren tatsächlich in der Lage, die Realität zu manipulieren, oder zumindest die Gedanken der Leute zu verändern.
Wir nahmen unsere KIDS mit, als wir gingen. Niemand wusste, dass sie bei uns geblieben waren. Sie sind natürlich tot. Alle KIDS sind tot. Das ist der Grund dafür, dass das Projekt abgeblasen wurde. Kein Projekt, bei dem hundert Kinder getötet werden, kann weitergeführt werden, weder mit Regierungsgeldern noch ohne. Die KIDS waren einfach zu lange im Geist-Raum geblieben. Niemand dachte daran, dass man dabei getötet werden könnte, wenn man sich darin verirrte. Niemand wusste, wie man die armen kleinen Mistkerle wieder wach bekam.
Und jetzt haben wir nur noch eine der zwanzig Fläschchen von dem Zaubertrank übrig, die wir aus dem Lagerraum mitgehen ließen, als wir gegangen sind. Und was soll ich sagen? Im Geist-Raum zu surfen ist etwas, womit man einfach nicht mehr aufhören kann. Also brauchen wir das Rezept, und das Rezept ist in dem Buch. Natürlich wollen wir es nicht nur für uns selbst. Unvorstellbar, wie viel Geld man mit diesem Zeug machen kann. Falls wir das Rezept hätten, könnten wir den Trank für das Tausend- und Abertausendfache des Betrags verkaufen, den man demnächst mondreisenden Geschäftsleuten in Rechnung stellen wird. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit irgendeiner Sache zu tun hatte, die einen gewissen Wert hat. Ich muss an das Buch rankommen. Ich muss an das Buch rankommen. …
Ich … Eigentlich muss ich scheißen. So dringend, dass sich das Bedürfnis wie eine Stimme in meinem Kopf anhört.
»Ed?«
»Ja.«
»Ich muss scheißen, Mann.«
»Um Himmels willen. Kannst du nicht drauf sitzen bleiben?«
»Ich sitze seit zwei Stunden drauf, und ich glaube wirklich, dass ich mir gleich in die Hose scheiße. Und wie lange wollen wir überhaupt noch hier rumstehen? Es ist fast drei Uhr.«
»Herr im Himmel.« Eds Hände liegen auf dem Lenkrad, obwohl wir seit Stunden nicht mehr gefahren sind. Jetzt bewegt er das Lenkrad hin und her, als ob irgendwas passierte, als ob wir nicht nur hier rumsäßen. Das Lenkradschloss rastet ein, und er flucht. »Scheiße. Himmelherrgott.«
»Tut mir leid, aber du weißt ja … Wir könnten hier ewig warten, und sie kommt vielleicht nie raus.«
Ed zieht die Schultern hoch. »Falls sie überhaupt drinnen ist.«
»Ja. Falls sie drinnen ist. Ich denke immer noch, dass sie vielleicht in Leeds ist.«
»Wir dürfen das Buch nicht verlieren.«
»Ich weiß. Ich will es genauso haben wie du.«
Ed reibt sich das Gesicht. »Okay. Neuer Plan.«
Mein Atem kommt ganz abgerissen heraus, wie ein geschredderter Geist. »Red weiter.«
»Wie wär's, wenn wir jetzt hier verschwinden? Eine Mütze Schlaf nehmen. Aber wir machen eine Mission für die KIDS daraus. Wir setzen sie auf ihre Spur.«
Ich bin kurz davor, ihn zu fragen, wie er sich das eigentlich vorstellt, aber ich brauche seine Zustimmung, dass wir das hier jetzt beenden, und deshalb sage ich nur: »Okay.« Ich denke an den blassen hochflorigen Teppich in meiner Einbildung und an das reale zerkratzte Linoleum im Motel. Wir müssen hier weg, egal wohin. Ich muss hier weg. Irgendetwas besteht eindeutig darauf, dass ich hier verschwinde.
Teil drei
Das Dasein ist je in seinem faktischen Sein, wie und »was« es schon war. Ob ausdrücklich oder nicht, ist es seine Vergangenheit. Und das nicht nur so, dass sich ihm seine Vergangenheit gleichsam »hinter« ihm herschiebt, und es Vergangenes als noch vorhandene Eigenschaft besitzt, die zuweilen in ihm nachwirkt. Das Dasein »ist« seine Vergangenheit in der Weise seines Seins, das, roh gesagt, jeweils aus seiner Zukunft her »geschieht«.
Martin Heidegger, »Sein und Zeit«
Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf etwas anderes folgt, nachdem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder
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