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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Ich weiß nicht, was Tropographie bedeuten soll. Aber Ahnenreihe. Ist es das, was ich jetzt sehe? Haben diese Bilder etwas mit Martins Eltern und Großeltern zu tun? Sind das ihre Perspektiven? Es gibt nur drei. Das ist keine lange Ahnenreihe. Im Kopf der Maus gab es Hunderte von Bildern. Komm schon, Ariel. Denk nach … Aber ich will nicht zu laut nachdenken, um Martin nicht auf den Umstand aufmerksam zu machen, dass ich hier bin. Ich bin so fasziniert, dass ich fast eines der Bilder in der Konsole ausprobiere, um festzustellen, was passieren wird, aber irgendwas sagt mir, dass das ein großer Fehler wäre. Beim letzten Mal, als ich das bei den Mäusen machte, schaffte ich den Sprung vom Schrank unter dem Spülbecken in den Hinterhof und in den Kopf der Maus neben den Mülleimern, die der – was? – Vater oder Großvater der ersten Maus gewesen sein musste. Wer weiß, wo ich landen würde, wenn ich hier einen Sprung machte. Vielleicht irgendwo in Amerika. Was würde das in der Troposphäre für Folgen haben?
    »Ed?«
    »Was ist?«
    »Wenn sie einfach bleibt, wo sie ist, können wir wirklich nicht viel machen.«
    »Das stimmt.«
    »Weiß sie das?«
    Ed zuckt mit den Achseln. Die ganze Zeit hat ein Eingang über ihm geschwebt, aber jetzt kann ich ein anderes Bild in der Konsole sehen. Es ist das Bild vom Innenraum eines Wagens, ein blonder Mann darin … Das bin ich. Es ist Martin. Also könnte ich inzwischen Ed wählen? Stimmt das? Soll ich springen? Nein. Bleib auf der sicheren Seite. Ich versuche, mich zu entspannen und mein »Ich« außen vor zu lassen, sodass ich richtig zu Martin werden und weiter in ihn hineinkommen kann als nur an die Oberfläche seiner Gedanken. Und – es ist, als ob ich neue Sachen anzöge, etwas, das zu warm ist, wie ein Pullover an einem heißen Tag – mein Bewusstsein wird langsamer, und mein »Ich« ist jetzt das von Martin …
    »Wir könnten alles abfackeln«, sage ich, ohne es wirklich zu meinen. Ich bin nicht hergekommen, um Kirchen niederzubrennen – oder Priester zu erschießen. Wir haben eine zweite Chance bekommen, uns das Buch zu schnappen, und zugegeben, wir haben ein bisschen überreagiert. Aber andererseits haben wir nicht mehr viel von dem Zaubertrank übrig, und deshalb brennt uns die ganze Sache ein bisschen unter den Nägeln. Mit unseren CIA-Ausweisen kommen wir nicht sehr weit, besonders wenn jemand auf die Idee kommt, tatsächlich die Nummer anzurufen und mit unserem Ex-Boss zu sprechen. Was würde der sagen? Nein, ich habe diese Jungs nicht mehr gesehen, seitdem sie ins Project Starlight eingestiegen sind. Habe sie nicht mehr gesehen, seitdem ich das Formular unterschrieben habe, mit dem sie ihrer Pflichten entbunden wurden. CIA? Das war mal.
    »Das ist gar keine so schlechte Idee«, sagt Ed. »Wenigstens würde uns dabei warm.«
    »Es ist eine ganz schlechte Idee. Vergiss, dass ich sie erwähnt habe.«
    »Wieso? Sie ausräuchern. Das ist eine tolle Idee.«
    Ich schaue durch die Windschutzscheibe. Ich denke daran, dass ich Schwierigkeiten damit hätte, einen Priester zu erschießen, aber ihr könnte ich wehtun: Ariel Manto. Ich vermute, sie rechnen damit. Das macht es leichter. Das erste Mal war es nicht leicht: Ich erinnere mich, wie ich mich in die Toilette irgendeines Restaurants erbrochen habe. Ich hielt mich an der Schüssel fest, und nachher war Blut daran, Blut von meinen Händen. Der nächste Mensch, den ich umbrachte, war sowieso eine Drecksau und hatte nichts anderes verdient. Dadurch begriff ich, dass es die Möglichkeit gibt, solche Dinge auf unpersönliche Weise zu erledigen, und danach merkte ich, dass ich es tun konnte, ohne wirklich dabei zu sein. Als wäre man da, aber zugleich auch wieder nicht. Man hat einen Dunstschleier im Kopf, und nachher wischt man ihn weg. Andererseits bringt einen die ganze Zeit im Geist-Raum dazu, sich mehr in andere einzufühlen. Trotzdem müssen wir die Leute loswerden, die das Geheimnis kennen – sobald wir selbst es kennen. Ich trete wieder auf die Sandwichverpackung, und Ed funkelt mich böse an. Die Scheibenwischer gehen immer wieder an, und Schnee sammelt sich in Miniwehen an den Rändern der Windschutzscheibe. Rechts vor uns liegt das Priorat: das kleine, rote Backsteingebäude. Könnte ich aus dem Auto steigen und es in Brand stecken? Wie bringt man so was zum Brennen? Ist das nicht, zumindest bei Schnee, fast ein Ding der Unmöglichkeit? Wir bräuchten Sprit, um das zu bewerkstelligen, und irgendeine Art

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