Troposphere
keine Wahl, weil ich nirgendwo sonst hinkann.
»Ich suche Saul Burlem«, sage ich.
Luras Gesicht sieht aus, als wäre es zu einem filmischen Standbild geworden, wobei die Welt ringsum einfach weiterläuft. Dann ist wieder alles normal, bis auf die Angst, die ich jetzt wie Vorboten eines Sturms in ihren Augen sehe.
»Nach wem suchen Sie?«, fragt sie.
»Nach Saul Burlem«, antworte ich. »Ich muss ihn sprechen. Würden Sie ihm bitte sagen, dass Ariel Manto hier ist? Sagen Sie ihm, dass ich die Seite gefunden habe und mit ihm reden muss.«
Während ich spreche, wächst ihre Angst sichtbar, sie fasst sich an den Kopf, als müsse sie sich vergewissern, dass er noch da ist – um das hier zu beenden, vielleicht, um sich zu versichern, dass sie sich das hier nur einbildet. Das muss das Schlimmste sein, wenn man sich versteckt hält, der schlimmste Albtraum.
»Wer sind Sie?«, fragt sie.
»Ich bin Sauls Doktorandin.«
»Sie sind … Nein. Ich weiß, wo Sie herkommen.«
»Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich habe nichts mit dem Project Starlight zu tun.«
»Wie kann ich da sicher sein? Wenn Sie nicht zu ihnen gehören, warum zum Teufel sind Sie dann hier?« Sie holt tief Luft und berührt ihre Haare. »Saul ist sowieso nicht hier. Er ist vor ungefähr zwei Monaten weggezogen. Er ist nach …«
»Ariel?«
Es ist Burlem. Er steht jetzt hinter Lura.
»Saul«, sage ich, »kann ich …?«
»Lass sie rein, Lura«, sagt er mit Grabesstimme. Er steht an die Wand der Eingangsdiele gelehnt, während ich reinkomme. »Ach du Scheiße.«
Das Erdgeschoss ist ein offener, ebener Raum mit Holzdielen und Eichenbalken, den man durch einen breiten Flur erreicht. Am Ende des großen Raumes brennt ein Feuer in einem großen Kamin, und überall liegen rote, braune und dunkelgelbe Teppiche. Links steht ein großer Esstisch, darauf eine aufgeschlagene Zeitung neben einer halbleeren Kaffeetasse auf einem Korbuntersetzer. Hinter dem Tisch liegt ein schlafender schwarz-weißer Hund in einem großen Korb, und in der Außenwand ist offenbar eine Terrassentür, verdeckt von schweren Vorhängen. Als wüsste der Hund, dass ich ihn anschaue, wirft er mir einen schläfrigen Blick zu und nickt wieder ein. Über dem offenen Kamin ist ein vollgestellter Sims: Ich sehe ein paar Rosetten, eine gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie von einem Mann und einer Frau, eine Bürste, ein Paar Stricknadeln und eine Vase mit blauen Blumen. Neben dem Kamin steht ein Sessel, Strickzeug liegt gefährlich nah am Feuer auf einer Lehne. Zwei Sofas – groß, tief und gelb – stehen einander vor dem Kamin gegenüber, aber im Vergleich zum Sessel etwas zurückgesetzt. Eines von ihnen weist stärkere Gebrauchsspuren als das andere auf, und Bücher und Zeitungen liegen darauf verstreut. Zwischen den Sofas steht ein Couchtisch – ein poliertes Stück Baumstamm –, der von Büchern, alten Kreuzworträtseln und Kugelschreibern bedeckt ist. Auf jeder Oberfläche liegen hohe Bücherstapel, und vor der gesamten rechten Wand stehen Bücherregale aus dicken Kiefernbrettern, die ein bisschen denen in Apollo Smintheus' Wohnung ähneln, aber mit Hunderten und Aberhunderten Büchern bestückt sind. Nirgends ein Fernseher.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was für ein Gefühl ich habe, hier zu sein. Ich hatte eine gewisse Erleichterung erwartet, wie nach einer langen, verregneten Reise nach Hause gekommen zu sein oder endlich großen Durst stillen zu können. Aber ich sehne mich immer noch nach diesem Gefühl von Sicherheit und Erfüllung, dem Gefühl, etwas dadurch erreicht zu haben, dass ich hergekommen bin. Im Moment komme ich mir eher so vor, als würde ich einen meiner Professoren besuchen, am Wochenende, wenn die Ehefrau zu Hause ist. Und schlimmer noch, ich habe seine Gedanken gelesen, um hierherzukommen, und Burlem ahnt das sicher. Was ich vorher für notwendig hielt, fühlt sich jetzt irgendwie falsch an. Ich bin eigentlich nicht seinetwegen hergekommen, ich bin meinetwegen hier. Andererseits muss er verstehen, dass ich keine andere Wahl hatte. Aber ich weiß jetzt einfach zu viel über ihn, und dessen sind wir uns beide bewusst.
Der Küchenbereich ist auf der linken Seite und verläuft parallel zur Diele.
»Ich mache Tee«, sagt Lura und geht in die Küche. Ich höre Wasser laufen und dann ein Klicken, als der Wasserkocher eingeschaltet wird.
Burlem geht vor mir her zu dem großen Esstisch. Er faltet die Zeitung zusammen und legt sie beiseite. Dann kommt Lura und holt
Weitere Kostenlose Bücher