Troposphere
Nähe. Aus dem Grund bin ich abgehauen. Aus dem Grund habe ich nach Ihnen gesucht. Ich kann nirgendwo anders mehr hin. Ich kann nicht nach Hause, ich kann nicht in die Universität …«
»Das haben Sie sich gut zurechtgelegt«, sagt er. »Dieses Zeug von wegen, die brauchen nur ein paar Minuten in Ihren Kopf rein, um an das Rezept ranzukommen. Aber die wollen uns alle umbringen. Das wissen Sie doch, oder?«
»Nein. Das wusste ich nicht. Nun ja, ich meine, ich weiß, dass die brutal sind und Gewalt anwenden, um an das Rezept ranzukommen … und vielleicht sogar, weil es ihnen Spaß macht. Aber ich dachte, dass die wieder verschwinden, sobald sie das Rezept haben.«
Burlem hustet und zieht an der Selbstgedrehten. »Wenn die das Patent für die Mixtur verkaufen – oder wie auch immer die das Rezept verwerten wollen, ich weiß nicht, was die geplant haben –, dann wollen die nicht, dass Leute wie wir ihnen die Preise kaputt machen. Die werden sich mögliche Konkurrenten vom Hals schaffen wollen. Na ja, ich weiß es nicht genau, aber ich nehme an, dass die es verkaufen wollen. Das scheint mir logisch.«
»Die wollen es verkaufen«, sage ich.
»Woher wissen Sie das?«
»Ich …«
Lura kommt mit einem gelben Tablett, auf dem eine Teekanne und Becher stehen, durch den großen Raum auf uns zu. Burlem schiebt schnell einige Zeitschriften und Zeitungen aus dem Weg, sodass sie das Tablett auf den Couchtisch stellen kann. Dann setzt sie sich in den Sessel und schaut mich an.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragt sie mich und linst über ihre silberne Brille. »Es tut mir leid, dass ich an der Tür so unhöflich war. Wir halten uns schon so lange versteckt, und …«
»Ist schon okay«, sage ich. »Mir geht's gut.«
»Ariel weiß von dem Project Starlight«, sagt Burlem zu Lura. »Sie weiß, was die Männer wollen.«
»Ja, das habe ich mitbekommen«, sagt Lura. »Woher wissen Sie das alles? Ich habe nichts über die herausfinden können – na ja, jedenfalls nichts, was über das Allerwesentlichste hinausging.«
»Ich bin in den Kopf von einem der beiden reingekommen«, sage ich. »In den von Martin Rose.«
Burlem lacht und schnaubt zugleich. »Scheiße, wie haben Sie das gemacht?«
»Sie haben in ihrem Wagen auf mich gewartet. Ich war in einem Priorat, und sie konnten offensichtlich nicht rein. Ich bin vom Priorat aus in die Troposphäre gegangen und durch Zufall in einem ihrer Köpfe gelandet. Ich wusste vorher nicht mal, dass sie da waren.«
»Was haben Sie in dem Priorat gemacht?«, fragt Burlem.
»Mich vor ihnen versteckt. Lange Geschichte«, sage ich.
Burlem schenkt Tee ein und verschüttet mindestens eine halbe Tasse aufs Tablett.
»Ich glaube, es ist jetzt vielleicht an der Zeit, uns alles zu erzählen, wenn Sie nichts dagegen haben. Wie Sie an das Buch gekommen sind, was als Nächstes passiert ist und so weiter.«
»Nein, ich habe nichts dagegen«, sage ich. »Aber kann ich zumindest heute Nacht hierbleiben? Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen, aber …«
»Es ist in Ordnung, Ariel«, sagt Lura, aber sie wirkt nicht gerade glücklich dabei.
»Tja«, sagt Burlem. »In der Welt draußen sind Sie am Arsch, genau wie ich.«
Lura schüttelt den Kopf. »Wie lange soll das noch weitergehen?«, sagt sie leise. Dann schaut sie mich an. »Sie können herzlich gerne so lange hierbleiben, wie Sie möchten«, sagt sie. »Wir haben ein Zimmer für Sie.« Sie schaut Burlem an. »Aber wir müssen dem hier einen Riegel vorschieben, bevor wir eines Morgens feststellen, dass wir zu zehnt sind und dann zwanzig, und dann weiß die ganze verdammte Welt über die Troposphäre Bescheid.«
»Das ist okay«, sagt Burlem. »Ariel wird niemandem sonst etwas erzählt haben.«
»Nein. Habe ich nicht«, sage ich. Aber ich erwähne nicht, dass ich das Buch – wieder vollständig – im Priorat habe stehen lassen. Ich glaube, das klingt sinnvoller, wenn ich es als Teil der ganzen Geschichte erzähle.
Ich lehne mich ins Sofa zurück und beginne meine Erzählung mit dem Tag, an dem die Universität einstürzte und ich das Antiquariat entdeckte. Und während ich erzähle, begreife ich endlich, dass ich mir nichts davon eingebildet habe: Das hier ist sehr real, falls man von irgendwas sagen kann, es sei real.
Es dauert Stunden, die Geschichte zu erzählen. Zunächst unterbricht Burlem mich immer wieder, um Fragen zu stellen, aber nach ungefähr einer halben Stunde intensiven Gesprächs über die Universität und noch
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