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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Nachtlokal wieder verschwindet. Jede Form von städtischem Leben scheint in diesem Viertel versammelt, angefangen bei Stadtmauern bis zu den Überresten des normannischen Schlosses und den hässlichen roten Mietshäusern, die daneben hingebaut worden sind. Hinter dem Schloss führt ein Tunnel unter der Umgehungsstraße durch, und wenn man diesen Weg wählt, kann man am Fluss entlang bis zur Autobahn gehen, vorbei am Gasturm und dem Zeltlager der Obdachlosen. Ich bin diesen Weg einmal gegangen, weil ich neugierig war, wie es außerhalb der Stadt aussieht. Auf der ganzen Strecke hat es nach Gas gerochen.
    Als ich zu Hause eintreffe, ist von Wolfgangs Rad nichts zu sehen, es hat also den Anschein, als wäre ich allein mit den Mäusen. In zwei der Fallen sind welche, also nehme ich sie mit nach unten und lasse die Mäuse hinten neben Luigis Mülltonnen frei. Zurück in der Küche, bestücke ich die Fallen mit alten Keksen und stelle sie wieder unter das Spülbecken. Ich stelle die Espressokanne auf den Herd und ordne alle meine Sachen um die Couch herum an: »The End of Mister Y«, Zigaretten, Notizbuch, Kugelschreiber. Sobald mein Kaffee fertig ist, mache ich es mir auf der Couch gemütlich und lese dort weiter, wo ich gestern Morgen aufgehört habe.
     
    In dem Moment, da die Flüssigkeit meine Zunge berührte, wurden mir mehrere neue Empfindungen bewusst, einschließlich einer plötzlichen Aversion gegen die Dunkelheit und eines heftigen Gefühles der Bedrückung. Zunächst war ich überzeugt, dass es sich einfach um Sinnestäuschungen handelte, die von der ziemlich melodramatischen Art und Weise hervorgerufen wurden, mit der man mir den Trank verabreicht hatte, und dass ich ein Opfer meiner eigenen Einbildungskraft war. Nach einer gewissen Zeit jedoch wurde ich zunehmend ängstlicher und erlitt eine Art Schwindelanfall. Nichtsdestoweniger richtete ich, wie man mich instruiert hatte, meine Aufmerksamkeit auf den schwarzen Kreis, zum wiederholten Mal von der Neugier gelockt. Ich blieb der festen Überzeugung, dass nichts, was dieser Jahrmarktsarzt tun konnte – falls er, wie ich vermutete, ein Scharlatan war – , mir irgendeinen Schaden zufügen würde.
    Nachdem ich einige Minuten auf der harten Platte gelegen und in den schwarzen Kreis gestarrt hatte, war ich verblüfft zu sehen, wie er sich vor meinen Augen aufzulösen begann. Zwei größere Kreise nahmen seinen Platz ein, einer rosafarben und einer blau, und diese Formen schienen sich mit der weichen Durchsichtigkeit einer Qualle auszudehnen und zusammenzuziehen. Plötzlich überkam mich jenes Gefühl, das man hat, wenn man mit einer Achterbahn abwärtsfährt, oder in den Träumen, in denen man aus großer Höhe herabfällt. Es war allerdings nicht mein physisches Ich, das herabsank, sondern eher mein Verstand. Es war so, als wäre der denkende, überlegende Teil meines Wesens dabei, sich zu verabschieden – mit der Endgültigkeit, mit der eine schwere Tür ins Schloss fällt. An seiner Stelle erschien eine kleine Öffnung, die größer und größer wurde, bis sie den schwarzen Kreis auf der weißen Karte auslöschte, und sich auch weiterhin vergrößerte, bis sie den Umfang eines Eisenbahntunnels hatte. Mit Beunruhigung stellte ich fest, dass ich mich inzwischen mit einer schwindelerregenden Geschwindigkeit durch diesen Tunnel bewegte.
    Die Wände des Tunnels waren zunächst pechschwarz, aber dann bemerkte ich verschiedene Inschriften, die neben mir aufschienen, als wären sie mit Licht gezeichnet. Anfangs waren es bloß Lichtpunkte, wie kleine Sterne am Firmament, und ich stellte mir vor, dass sich vielleicht ein Bild aus ihnen formen ließe, wenn man sie nur miteinander verbinden könnte. Außerdem gab es oszillierende Linien der Art, wie man sie bei einer groben Darstellung von Meereswellen beobachten könnte. Einen Augenblick lang bildete ich mir ein, Bilder von menschlichen Geschlechtsteilen vor mir zu sehen. Dann erschienen verschiedene Formen, und trotz der ungeheuren Geschwindigkeit, mit der ich an ihnen vorbeizog, konnte ich Kreise, Kugeln, Triangeln, Pyramiden, Quadrate, Würfel und Rhomboeder ausmachen, bis diese verblassten und die Tunnelwände mit etwas geschmückt waren, was wie antike Hieroglyphen aussah, die ich zugegebenermaßen nicht lesen konnte. Diese kleinen Bilder blinkten wie Erscheinungen, während ich an ihnen vorbeirauschte: Ich sah Dinge, die mir wie Vögel und Füße und Augen vorkamen.
    Mir wurde bewusst, dass meine Angst nachließ,

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