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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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mich herum war alles ruhig und friedlich, und ich hatte den Eindruck, als könne ich für immer hierbleiben, und mir würde es an nichts fehlen. Und doch sah ich mich gezwungen, mein Vorhaben zu Ende zu führen.
    Bald bemerkte ich vor mir verschiedene Häuser. Als mein Pferd näher kam, stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um einen kleinen Weiler mit Landhäuschen handelte, die vor einem riesigen, undurchdringlichen Wald dicht beisammenstanden. Da ich begriff, dass ich mir diese Häuser näher ansehen sollte, stieg ich von meinem Pferd herunter und band es vor dem ersten Häuschen fest. Es war dunkel, und in seinem Garten standen dicke, verwachsene Bäume, die von wild wuchernden Brombeersträuchern umgeben waren. Noch bevor ich den Namen an der Gartenpforte las, wusste ich, dass es sich um das Haus des Jahrmarktsarztes handelte. Das nächste war unscheinbarer, seine Außenwand war getüncht, und den Namen an der Pforte kannte ich nicht. Etwas befahl mir, durch diese Pforte einzutreten, was ich dann auch tat. Dieses Etwas, das aus meinem Inneren zu sprechen schien, sagte mir darauf, dass die Haustür unverschlossen sei, und deshalb trat ich ein, ohne anzuklopfen, denn ich wusste, dass den hiesigen Gepflogenheiten gemäß mein Benehmen nicht als tadelhaft empfunden würde.
    Dann hatte ich die merkwürdigste Empfindung von allen. Die Sprache lässt mich beinahe im Stich, wenn ich versuche, das in Worte zu kleiden. Am nächsten komme ich ihm so: Man stelle sich vor, nicht in der Haut eines anderen Menschen zu stecken, sondern in seiner Seele. Sogar während ich dies schreibe, erscheint mir jene armselige Beschreibung schwach, gemessen an der seltsamen, aber alles andere als unangenehmen Empfindung der Ausdehnung, die ich empfand, während das, was auch immer »ich« sein mag, wie aus einem Samenkorn in das hineinwuchs, was auch immer »er« sein mochte, und wir beide zu einem wurden. Auf einmal erahnte ich, was sich ereignet hatte. So unfassbar und unmöglich es auch erscheinen mag, ich hatte den Verstand eines anderen betreten. Ich hatte den Verstand des Illusionisten Mr. William Hardy betreten, des Inhabers von Hardy's Ghost Illusion and Theatre.
    Ich kann dem Leser versichern, dass der telepathische Verkehr, den man mit einem anderen hat, in keiner Weise bruchstückhaft und undeutlich ist oder substanzlos. Denn obwohl ich immer noch den Handkoffer meines eigenen Wesens mit mir zu tragen schien, hatte ich, sobald ich im Geiste dieses Mannes steckte, das deutliche Gefühl, nicht an seiner Stelle, sondern neben ihm zu existieren. Auch wenn es mich sehr irritiert, diese Worte zu schreiben, weil ich kein Mann bin, der an Geister, Phantome oder die sogenannte vierte Dimension eines Herrn Zöllner oder anderer glaubt, hege ich keinen Zweifel daran, dass ich mich im Geiste dieses Mannes aufhielt. Ich konnte denken, was er dachte, ich wusste, was er wusste, und während der Zeit, in der ich zu Gast in seinem Wesen war, erlebte ich, was er erlebte.
    Er (obwohl es mir so vorkam, dass »ich« alles tat, was nun folgt, werde ich den Leser nicht mit der ersten Person Singular oder, schlimmer noch, Plural verwirren) war hungrig; das war das erste Gefühl, dessen ich mir bewusst wurde. Natürlich verspürte ich jetzt denselben Hunger, da ich dasselbe Wesen bewohnte, und ohne darüber nachzudenken, was ich tat, dachte ich an meine letzte Mahlzeit zurück. Sofort nahm ich etwas wahr, das zwei durchsichtigen, übereinanderliegenden Bildern glich. Das erklärt natürlich die Empfindung nicht angemessen, aber Worte werden mir keine bessere Beschreibung erlauben. Ich sah oder fühlte, wie ich im Begency Hotel das Mittagessen zu mir nahm, aber zur gleichen Zeit erlebte William Hardy, der sich selbst, wie ich mitbekam, als Will oder sogar »Little Will« bezeichnet, ein Kosename, den seine Mutter ihm gegeben hatte, wie er sich hinsetzte, um einen in Papier eingeschlagenen gekochten Fleischpudding zu verzehren. Nur mit einer gewissen Schwierigkeit vermag ich meiner eigenen Erinnerung Glauben zu schenken, während ich diese Worte niederschreibe, aber ich erfuhr deutlich die Illusion, den kräftigen, dicken, mit Nierenfett zubereiteten Pudding und die schwere braune Soße zu schmecken, die so süß war wie das Fleisch im Innern. Dennoch waren ich oder er oder wir beide noch immer hungrig. Die Fleischpastete war nur eine Erinnerung, und Little Will wollte sein Abendessen haben.
    Vor dem Abendessen musste Little Will seine

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