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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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oder etwas zum Abendessen zu kaufen. Mein Atem dampft in der kalten Luft, und ich frage mich, wann die Universität wieder aufmacht. Ich denke an die kostenlose Wärme in meinem Büro und an den kostenlosen Kaffee in der Institutsküche. Okay – der Kaffee ist nicht wirklich umsonst: Man sollte, glaube ich, jedes Mal fünf Pence zahlen, aber die meisten werfen ein Pfund oder zwei rein, wenn sie dran denken. Wird Patrick mich zum Essen einladen? Ich weiß nicht, warum er es nicht tun sollte. Normalerweise bestehe ich darauf, die Hälfte zu bezahlen, aber heute werde ich das nicht tun.
    Vor ein paar Wochen war der Platz vor der Kathedrale noch voll mit Sternsingern und Leuten, die ihre Weihnachtseinkäufe machten, jetzt ist er praktisch leer. Die letzten Abendsonnenstrahlen überziehen das Kopfsteinpflaster mit einem dunklen, leicht violetten Schimmer, ich eile darüber hinweg und durch den Christ-Church-Eingang. Dann durchquere ich die Gartenanlagen und betrete die Kathedrale. Ich gehe auf der linken Seite des Mittelschiffs bis zur Krypta und die Treppe hinunter bis in den mit hellem Stein ausgekleideten Innenraum. Ich liebe die Krypta der Kathedrale, trotz (oder sogar wegen) der Dinge, die sich hier zugetragen haben, was sich eher nach einer Geschichte anhört als nach wirklichen Geschehnissen. Ich liebe die leisen, dumpfen Geräusche der paar wenigen Leute, die hier herumgehen, und die einzelne Kerze, die in der Chapel of Our Lady Undercroft brennt. Vor einer Weile sah es so aus, als würde in London alles in die Luft gesprengt, und das Betpult war mit Post-its zugeklebt, auf denen um Weltfrieden gebeten wurde. Ich kam eigentlich nur aus dem Grund her, um still dazusitzen, aber zuerst las ich immer die Gebete. Ich erinnere mich, wie ich mir einmal vorgestellt habe, dass eine Bombe in der Kathedrale selbst explodiert. Aber die Kirche ist so riesig, und die Wände sind so massiv, dass sie mit Sicherheit so wenig Schaden anrichten würde wie ein Feuerwerkskörper.
    Patrick steht im östlichen Bereich der Krypta, ich gehe zu ihm hinüber.
    »Hallo«, sagt er leise und küsst mich auf beide Wangen.
    »Hi«, flüstere ich ihm zu.
    »Das hier ist ein ziemlich düsterer Treffpunkt«, sagt er, eine Augenbraue in die Höhe gezogen.
    Ich lächle. »Ich weiß. Tut mir leid. Ich wollte nur eine Kerze anzünden, dann können wir gehen.«
    Ich gehe zu dem kleinen Altar und nehme ein Teelicht aus der Kiste darunter. Ich werfe vierzig Pence ein. Mir ist selbst nicht klar, warum ich überhaupt eine Kerze anzünde: Bislang war das jedenfalls keine Gewohnheit von mir. Hier drinnen zieht es nicht, aber ich sehe zu, wie die kleine Flamme meiner Kerze etwa eine halbe Minute lang unsicher flackert, bevor sie anscheinend beschließt, nicht mehr auszugehen, und zusammen mit den anderen gleichmäßig zu strahlen beginnt. Ich beobachte sie noch einen Augenblick, bevor ich mich abwende, wobei ich überlege, was wohl mit all der Energie geschieht, die an Orten wie diesem erzeugt wird. Es ist, als schüfen wir uns Gott aus all dieser Energie selbst. Wird Gott durch die Gedanken der Menschen geschaffen, oder werden die Menschen durch die Gedanken Gottes geschaffen? Ich bin ganz sicher, dass ich im Zuge meiner Recherchen diesem Gedanken begegnet bin, aber ich kann mich nicht erinnern, wo.
     

Kapitel fünf
     
    Patrick hat ein Hotelzimmer irgendwo an der Umgehungsstraße reserviert. Wir gehen durch die Stadt bis zur Unterführung und, sobald wir auf der anderen Seite wieder herauskommen, auf der Hauptstraße weiter bis zum Hotel. Das ist eine Gegend mit viel Nachtleben und Leuchtreklamen von Imbissbuden, Videotheken, Supermärkten und Clubs. Wir melden uns an der Rezeption an und gehen auf einer breiten Holztreppe in unser Zimmer hoch, das zwar ein bisschen runtergekommen ist, aber luftig und sauber. Während Patrick sich umzieht, stehe ich im Badezimmer und betrachte mich im Spiegel. Bin ich verflucht? Ich sehe jedenfalls nicht verflucht aus. Ich sehe aus, als ob ich mich selber überrascht hätte, erschöpft und vom Neonlicht geblendet.
    Würden Sie ein mit einem Fluch belegtes Buch lesen, wenn Sie eins hätten? Wenn Sie hörten, dass es irgendwo ein verfluchtes Buch gäbe und Sie fänden es in einem Buchladen – würden Sie Ihr letztes Geld dafür ausgeben? Wenn Sie hörten, dass es irgendwo ein verfluchtes Buch gäbe, würden Sie danach suchen, auch wenn niemand es für möglich hielte, dass noch Exemplare davon existierten? Ich denke an

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