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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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keine Angst vor Flüchen. Das hat er gesagt.
    Er setzt sich wieder an den Tisch. »Worum geht es in der Geschichte?«
    »Es geht um einen Mann namens Mr. Y, der auf einen viktorianischen Jahrmarkt geht«, beginne ich. Ich erzähle Wolf die Geschichte, soweit ich sie kenne, und höre mit der letzten Szene auf, die ich gelesen habe, in der Mr. Y von seiner Frau angefleht wird, nicht mehr die ganze Nacht über medizinischen Lehrbüchern zu hocken. Er antwortet ihr, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und ins Bett gehen. Das tut sie, und er setzt seine Lektüre fort.
    »Woraus besteht denn seiner Ansicht nach die Mixtur?«, fragt Wolf.
    »Bislang hat er keine Ahnung«, antworte ich. »Er glaubt, das Ganze könnte auf Laudanum basieren, das ist in Alkohol gelöstes Opium, er ist sich aber nicht sicher. Er weiß, dass es als Flüssigkeit aktiv ist, und hat deshalb Distickstoffmonoxid – Lachgas – und Chloroform ausgeschlossen, weil man beides inhalieren muss. Andere Möglichkeiten schließen Äther ein, eine Substanz aus Schwefelsäure und Alkohol, oder Chloralhydrat. Außerdem versucht er, sich verschiedene exotische Kräuter aus entfernteren Ländern zu besorgen, und er legt sich eine etwas abgedrehte Theorie zurecht, wonach ein ausländischer Medizinmann die Zusammensetzung dem Jahrmarktsarzt weitergegeben hat. Aber wenn das der Fall ist, wird er die Mixtur nie aus Zutaten zusammenbrauen können, die man in einer viktorianischen Apotheke kriegen kann. Diese Einsicht stürzt ihn in eine tiefe Depression. Doch nach einer gewissen Zeit gelangt er zu der Erkenntnis, dass es keine exotische Mischung gewesen sein kann. Es ist unwahrscheinlich, dass sie für zwei Shilling peruanische Baumrinde, afrikanisches Schlangengift, Einhornblut oder etwas Ähnliches hätte enthalten können. Er sagt sich, dass die Mixtur angesichts dieses Preises aus relativ billigen Bestandteilen zusammengesetzt sein müsse. Aber aus welchen?« Ich zucke mit den Achseln. »Selbst wenn die Zutaten nicht exotisch sind, könnten es alle möglichen sein.«
    »Und du hast bis jetzt keine Ahnung, welche?«, fragt Wolfgang.
    Ich schüttle den Kopf. »Nein. Aber ich hoffe, es bald herauszufinden, das heißt, wenn es überhaupt herauszufinden ist.«
    Wolf steckt sich eine Zigarette an und versenkt sich in den Anblick seines Glases Sliwowitz. Ich überlege, ob ich ihm von dem Vorwort erzählen soll und von der Andeutung, dass es etwas mit der »Wirklichkeit« zu tun haben könne, lasse es dann aber bleiben. Stattdessen stehe ich auf und spüle die beiden Kaffeetassen aus, während Wolf sein Glas austrinkt und aufsteht, um zu gehen.
    »Ich kann heute Abend etwas Gourmetmäßiges machen, wenn du willst«, bietet er an.
    Ich bin versucht anzunehmen. Was ich hier habe, ist bestenfalls »sehr gourmetmäßig«, aber ich will das Buch zu Ende lesen.
    »Vielen Dank, Wolf«, sage ich. »Aber ich glaube, ich lese einfach weiter.«
    »Und beschwörst den Fluch auf dich herab?«, fragt er, mit hochgezogener Augenbraue.
    »Ich glaube nicht daran, dass es wirklich einen Fluch gibt«, sage ich.
     
    Um acht Uhr ist es eiskalt, ich muss sämtliche Gasflammen am Herd anmachen. Ich bin mit dem Buch fast durch. Es scheint so, als ob Mr. Y kurz vor dem Konkurs steht, weil er von der Troposphäre und der Methode, mit der er dorthin zurückkehren möchte, völlig besessen ist. Er hat angefangen, mit verschiedenen Drogen und Mixturen zu experimentieren, und liegt oft auf seiner Couch und starrt auf einen schwarzen Fleck, aber keine der Drogen, die er ausprobiert hat, funktioniert. An jeder Straßenecke springen ihm Plakate entgegen, die Allheilmittel wie Dr. Lococks Schwindsuchtswaffeln und Pulvermachers verbesserte patentierte galvanische Kettenbänder, Gürtel, Batterien mit Zubehör anpreisen. Was war in den Waffeln, und konnte die Flüssigkeit in dem Fläschchen des Jahrmarktsarztes es enthalten haben? Und was war mit Pulvermachers elektrischen Geräten? Vielleicht hatte der Jahrmarktsarzt die Flüssigkeit bei der Zubereitung auf irgendeine Weise elektrifiziert. Mr. Y begreift, dass er das Rezept durch Zufall nicht herausfinden wird. Die einzige Möglichkeit, jemals wieder in die Troposphäre zu gelangen, besteht darin, dass er den Arzt ausfindig macht und ihn überredet, ihm zu sagen, wie.
    Zu Beginn des 12. Kapitels hat Mr. Y herausgefunden, dass viele der Leute, die im Sommer von Jahrmarkt zu Jahrmarkt fahren, in London das Winterquartier aufschlagen und

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