Troposphere
ist in dem Roman grob als zwielichtiger und gehässiger Zeitgenosse charakterisiert, der es zu genießen scheint, Elend über Mr. Y zu bringen, und glaubt, dass seine Herstellungsmethode – die darin besteht, dass er seine Angestellten in einem kleinen, überhitzten Hinterzimmer einschließt und ihnen so gut wie nichts bezahlt – den altmodischen Methoden Mr. Ys überlegen ist. Mr. Y ist bald von zwei Dingen besessen, von Telemantie und Rache; und er glaubt, dass er, wenn er nur wüsste, was in dem Trank war, den ihm der Arzt verabreicht hatte, ihn selbst zubereiten und der Landschaft der Troposphäre einen weiteren Besuch abstatten könnte. Dort würde er sich natürlich in den Kopf von Mr. Clemency begeben. Mit einer gewissen Scham gesteht er sich ein, dass er die Absicht hat, seinen Konkurrenten zu erpressen, falls er eine Möglichkeit dazu findet.
In der Zwischenzeit laufen die Geschäfte immer schlechter. Darüber hinaus wird sein Vater krank, und seine sonst sanftmütige Ehefrau wird übellaunig und ängstlich. Mr. Y kann sich nicht um alles kümmern, also vernachlässigt er seinen Vater und schreit seine Frau an. Er läuft mit großen Schritten dem eigenen Ruin entgegen, aber das sieht er nicht. Stattdessen arbeitet er Tag für Tag bis tief in die Nacht und liest in den »Materia Medica« und Kräuterbüchern, von denen er sich einen Hinweis auf die geheimnisvolle Mixtur erhofft. Er findet nichts. Aber die Welt der Troposphäre, besonders die ruhige Landschaft, durch die er mit dem Pferd geritten ist, lockt ihn wie eine Droge, nach der er süchtig ist.
Das Licht vor meinem Küchenfenster wird schwächer, und ich schaue auf die Uhr. Es ist kurz nach vier. Ich gehe die Leselampe aus meinem Schlafzimmer holen, stöpsele sie hinter der Couch ein und stelle sie auf die Fensterbank. Besser so. Ich kann den Lichtkegel direkt auf die Buchseiten richten. Eine Lampe hat doch sicher keinen so hohen Stromverbrauch, oder?
Gegen halb sechs höre ich, wie im Erdgeschoss die Haustür zufällt und das misstönende Geräusch von Wolfgangs Fahrradklingel, die an der Wand entlangschrammt. Ich will das Buch wirklich zu Ende lesen, aber mir tun die Augen weh, und ich habe seit Stunden mit niemandem ein Wort gewechselt. Als ich ein paar Minuten später ein schwaches Klopfen an meiner Tür höre, rufe ich deshalb, dass sie offen sei, und stehe auf, um Kaffee zu machen.
Wolfgang kommt herein und setzt sich betreten an den Küchentisch.
»Einen schönen Tag gehabt?«, frage ich, obwohl seine Körperhaltung die Frage schon beantwortet.
»Ha«, ist alles, was er sagt, während er den Kopf in die Hände stützt.
»Wolf?«
»Wofür sind Sonntage da?«, fragt er. »Sag mir das mal.«
»Ähm … für die Kirche?«, schlage ich vor. »Für die Familie? Sport?«
Die Espressokanne zischt, und ich nehme sie von der Flamme. Ich gieße jedem von uns eine Tasse ein und setze mich Wolfgang gegenüber an den Tisch. Ich halte ihm die Zigaretten hin und stecke mir selbst eine an. Weil er nicht auf meine Vorschläge antwortet, versuche ich mir noch ein paar auszudenken. Ohne es zu wollen, gleite ich wieder in Mr. Ys Welt um 1890 hinüber und habe halbfertige Bilder aus Malbüchern vor meinem geistigen Auge, auf denen Frauen in Reifröcken durch Parkanlagen spazieren und Kinder mit Kreiseln spielen, und Ausflüge an die Küste, in denen Sonnenschirme und Spielautomaten eine Rolle spielen, obwohl ich glaube, dass es Spielautomaten erst seit der Jahrhundertwende gibt. Eine Welt am Nachmittag, nach dem Gottesdienst, die ich nicht mal annähernd verstehe. Ich bemühe mich, die 1890er Jahre wieder aus meinen Gedanken zu vertreiben.
»Sex?«, biete ich stattdessen an. »Zeitungslektüre? Einkaufen?«
»Ha«, sagt Wolfgang wieder und nippt an seinem Kaffee.
»Was ist passiert?«, frage ich.
»Ein Wochenende mit Catherines Familie.« Abscheu schwingt in seiner Stimme mit.
»So schlimm kann es doch nicht gewesen sein«, sage ich. »Wo wart ihr?«
»In Sussex. In ihrem Landhaus. Und es war sehr schlimm …«
»Warum?«
Er seufzt. »Wo soll ich anfangen?«
Ich denke an die »Odyssee«. »Versuch's mit der Mitte«, schlage ich vor.
»Ah. Mit der Mitte. Okay. In der Mitte habe ich den Hund überfahren.«
Ich muss lachen, obwohl es natürlich nicht lustig ist.
»Wie geht es dem Hund?«, frage ich.
Wolfgang sieht traurig aus. »Er lahmt jetzt.«
Ich trinke einen Schluck Kaffee. »Wie genau hast du den Hund denn überfahren?«
Wolfgang hat
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