Troposphere
farbenprächtigen Kopftuch gebunden trug. Noch ehe sie ein Wort sagen konnte, sprach ich sie ohne Umschweife an.
»Ich bin auf der Suche nach Ihrem Ehemann.«
Während sie mir zu versichern begann, dass sie keinen Ehemann habe und dass ich sie direkt für ihre Dienste bezahlen könnte, die von allerbester Qualität seien, spürte ich plötzlich einen kalten Luftzug in dem Räume, und der Jahrmarktsarzt trat ein.
»Mr. Y«, sagte er. »Wie erfreulich.«
»Guten Abend, Herr Doktor«, erwiderte ich.
»Ich habe gehört, dass Sie nach mir suchen«, sagte er.
»Woher …«, begann ich und brach ab. Wir kannten beide die Wirkungen seiner Medizin. Ich überlegte mir schnell, welche Machenschaften hinter seinem derzeitigen Wahrsage-Akt standen. Er las die Gedanken all der Leute, die das Haus betraten, und versah seine Frau mit biographischem Hintergrundmaterial, damit sie die Informationen entsprechend nutzen konnte. Deshalb, nahm ich an, hatte er sich auch in meinem Kopfe umgesehen und wusste, wonach ich suchte. Ich vermutete, es bestünde die Möglichkeit, dass er es mir geben würde – für einen gewissen Preis.
»Sie wollen das Rezept haben«, sagte er zu mir.
»Ja«, erwiderte ich, zögerte aber, dem Arzt zu sagen, wie sehr ich darauf aus war.
»Sehr schön«, sagte er. »Sie können es haben, für dreißig Pfund und nicht weniger.«
Ich verfluchte meine verräterischen Gedanken. Dieser Mann, dieser Schausteller in Hinterzimmern, wusste bereits, dass ich alles, was ich hatte, für eine weitere Kostprobe seiner seltsamen Mixtur hergeben würde, und natürlich hatte er vor, alles zu nehmen, was ich hatte, und nicht weniger.
»Bitte«, sagte ich. »Nehmen Sie mir nicht mein ganzes Geld. Ich muss Stoff für das Geschäft kaufen und meinem Angestellten seinen Lohn auszahlen. Außerdem brauche ich Medikamente für meinen Vater, der im Sterben liegt …«
»Dreißig Pfund«, sagte er wieder. »Wenn Sie morgen Abend mit dem Geld hierherkommen, gebe ich Ihnen das Rezept. Wenn Sie nicht kommen, betrachte ich unsere Geschäftsbeziehung als beendet. Guten Abend.«
Er brachte mich zur Tür.
Am folgenden Abend nahm ich das Geld aus dem Versteck und verstaute es sorgfältig in meinem Schuh, damit es mir die East-End-Schurken nicht abnehmen könnten. Schweren Herzens und mit einem tiefen Unbehagen machte ich mich abermals auf den Weg zum Etablissement gegenüber dem London Hospital. Am vorhergehenden Abend hatte ich nur einen jungen Mann vor dem Haus gesehen, der eine Pansflöte spielte; heute tat auch das Mädchen mit dem Harmonium Dienst, und ihr Instrument gab heulend und brummend die gleichen Misstöne von sich, an die ich mich von der Goose Fair erinnerte. Ich ging mit großen Schritten an alldem vorbei, vorbei an den Zwetschgenpudding verkaufenden Jungen, den Taschendieben und den Vagabunden, hinein in das Haus der Schrecken, wo ich für den Eintritt einen weiteren Penny entrichtete.
Ich hatte die Befürchtung, der sogenannte Arzt könnte wieder verschwunden sein, aber die Aussicht auf dreißig Pfund muss Anreiz genug für ihn gewesen sein, denn er begrüßte mich, sobald ich
Und an dieser Stelle wäre es auf der herausgerissenen Seite weitergegangen. Mein Blick ruht wie gebannt auf dem einzigen Satz auf Seite 133, der nächsten Seite in meiner Ausgabe des Buches:
Und so ging ich in der bitteren Kälte jenes späten Novemberabends fort, und jeder Fußabdruck im Schnee dokumentierte einen weiteren Schritt meinem eigenen Untergang entgegen, der Vergessenheit, die mir bevorstand.
Was soll ich jetzt tun? Das Buch hat noch ein letztes Kapitel, das auf Seite 135 beginnt. Soll ich es lesen und den Umstand außer Acht lassen, dass die offensichtlich entscheidende Szene mit Mr. Y und dem Jahrmarktsarzt fehlt? Oder … was? Welche Alternativen habe ich? Es ist ja nicht so, dass ich morgen in einen Buchladen gehen und ein Ersatzexemplar kaufen oder einfach vor Ort die fehlenden zwei Seiten lesen könnte. Das Buch steht in keinem Bibliothekskatalog der Welt. Es existiert nicht mal in Sammlungen seltener Manuskripte. Ist diese Seite für immer verloren? Und warum in aller Welt hat jemand sie rausgerissen?
Kapitel sieben
Es ist Montagvormittag, und der Himmel ist trübe und schwer. Ich bin auf dem Weg in die Universität, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass sie immer noch geschlossen ist. Aber vielleicht haben sie trotzdem die Heizung an. Und solange unser Gebäude noch steht, wird es Tee und Kaffee
Weitere Kostenlose Bücher