Troposphere
drei Nächte vorher besucht hatte. Dort sah ich in einem überwucherten Garten die »erstaunliche« Bärtige Frau, die im abendlichen Zwielicht einen traurigen, halbmenschlichen Anblick bot, wie sie ihre Wäsche aufhängte und mit einem afrikanischen Wilden in Streit geriet, den man nach Sonnenuntergang mit einem Rock aus Stroh, einer goldenen Hemdbluse und großen Ohrringen geschmückt antraf und der scheinbar nur der Laute »Ugh, ugh« mächtig war, in jenem Moment aber eine deutlich weniger exotische Kleidung aus schäbigen Strümpfen, Kordkniebundhosen und einer grauen Leinenkappe trug und nicht nur eine fortgeschrittene Kenntnis des Englischen, sondern auch seiner immens zahlreichen drastischen Wörter und Ausdrücke demonstrierte. Außerdem begegnete ich einmal durch Zufall dem Jungen mit dem Gigantischen Kopf, einem Kind von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren, außerhalb seines verdunkelten Zimmers und ohne all seine Kostümierung, ohne Rampenlicht und gemalte Anpreisung. Er war nicht länger eine bunte Missgeburt, sondern eindeutig ein krankes Kind, das ärztliche Behandlung nötig hatte.
Eher halbherzig bezahlte ich einen Penny, um das Whitechapel-Haus betreten zu dürfen. Im Erdgeschoss waren ohne weitere Bezahlung die üblichen gewöhnlichen Spektakel zu bestaunen: Buddelschiffe, Schrumpfköpfe und dergleichen. Daneben gab es dort verschiedene Wachsfiguren berühmter Politiker und eine Szene, die das ruhmreiche Empire zeigte. Und außerdem gab es an kleinen Kartentischen verschiedene Schurken, die mit der dunklen Kunst beschäftigt waren, die »Lady« vor jenen Gentlemen zu verstecken, die sie für einen Shilling finden wollten, und andere ähnliche Spielarten kleiner Betrügereien. Als ich diesen Raum verließ und den Weg zur Treppe einschlug, versuchte ein junges Mädchen mich in ein Hinterzimmer zu locken, damit mir von einer Madame de Pompadour meine Zukunft geweissagt werden konnte. Ich versicherte der Frau, dass mir all die Möglichkeiten, die die Zukunft für mich bereithielte, wohlbekannt seien, und setzte meinen Weg die Treppe hinauf fort. Hier fand ich allerdings eine beunruhigende Schaustellung vor: elf Wachsfiguren, die jeweils ein Opfer des Whitechapel-Mörders darstellten. Ich muss zugeben, dass ich meinen Blick abwenden musste, nachdem ich kurze Zeit eine Kopie der verstümmelten Mary Kelly angeschaut hatte, die in einem Hemd auf einem Bette lag und der dickes Wachsblut aus dem Halse floss. Etwas an dieser grauenhaften kleinen Szene – etwas, das über den grundlegenden Schrecken des Spektakels hinausging – ließ mir keine Ruhe, noch während ich in den nächsten Raum ging und eine rothaarige junge Frau betrachtete, die Gewichte mit ihrem langen Haarzopf hochhob. Kurz darauf kehrte ich zu der Wachsfigurenausstellung zurück und schaute mir die Szene mit Mary Kelly von neuem an. Und tatsächlich, da war es. Die geschmacklose rote Lampe, die ich zuletzt im Zelt des Jahrmarktsarztes gesehen hatte, diente jetzt als Requisit für dieses morbide Tableau.
Sofort ging ich zu einer Frau hinüber, die in einem alten Lehnstuhl in der gegenüberliegenden Zimmerecke saß. Ich vermutete, dass es ihre Aufgabe war, die Wachsfiguren im Auge zu behalten, und ich blieb einige Sekunden vor ihr stehen, bevor sie von dem Kostüm in ihrem Schoß aufsah, an dem sie ausgefranste und grau gewordene Stellen des Stoffs mit einem Paillettenbesatz ausbesserte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie mich.
»Ich möchte mich erkundigen, wem die Lampe dort gehört«, antwortete ich.
»Meinen Sie die arme Mary Kelly?«
»Nein«, sagte ich in einem ärgerlichen Ton. »Nein, ich meine einen Herrn. Einen Jahrmarktsarzt. Vielleicht ist er hier beschäftigt?«
Die Frau schaute hinab auf ihre Stickerei. »Tut mir leid, Sir«, sagte sie. »Ich glaube, hier gibt es niemanden, auf den Ihre Beschreibung zutrifft.«
Dann warf sie mir einen schnellen Blick aus ihren kleinen Augen zu, und ich begriff, was sie wollte. Ich fand einen Shilling in meiner Tasche und zeigte ihn ihr.
»Sind Sie sicher, dass Sie ihn nicht kennen?«, fragte ich.
Sie musterte den Shilling, griff danach und nahm ihn mir ab.
»Versuchen Sie es bei der Wahrsagerin im Erdgeschoss«, sagte sie mit einem Flüstern. »Der Mann, dem die Lampe gehört, ist mit ihr verheiratet.«
Ohne weiteres Zögern ging ich die Treppe hinunter und platzte voller Ungeduld in den Salon der Wahrsagerin. Dort saß eine knochige, blasse Frau, die ihre Haare mit einem
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