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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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keinen Führerschein: Daher muss es mit dem Fahrrad gewesen sein.
    »In einem … Wie würdest du das nennen …? Wie heißt das Wort …?«
    Das ist eine affektierte Angewohnheit von Wolf. Er spricht besser Englisch als die meisten Literaturstudenten am Institut, aber manchmal sucht er nach einem Wort wie diesem hier, macht auf Ausländer, um der Geschichte, die er gerade erzählt, eine gewisse Dramatik oder manchmal auch Melancholie zu verleihen. Ich habe nichts gegen diese Marotte, finde sie ganz im Gegenteil unterhaltsam. Aber das bedeutet nicht, dass ich sie nicht durchschaut hätte.
    Er ist immer noch dabei. »Ein … wie ein kleiner Traktor.«
    »Du hast den Hund der Familie deiner Freundin mit einem ›kleinen Traktor‹ überfahren?«
    »Nein. Nun ja, schon. Aber ich meine, wie heißt das Wort für ›kleiner Traktor‹?«
    »Ich glaube nicht, dass es ein Wort für ›kleiner Traktor‹ gibt. Was macht man denn damit?«
    »Man schneidet Gras damit.«
    »Ah! Ein Rasenmäher.«
    Wolf sieht mich an, als wäre ich beschränkt. »Ich kenne Rasenmäher«, sagt er. »Einen Rasenmäher schiebt man. Auf diesem andern Ding sitzt man.«
    »Oh«, sage ich. »Ja, also ein Rasenmäher, auf dem man sitzt. Ein … o Gott. Wie nennt man diese Dinger?« Ich überlege einen Moment. »Ich glaube, es sind einfach Rasenmäher, auf denen man sitzt. Wie hat Catherines Familie ihn genannt?«
    »Ich glaube, sie haben es den ›Mäher‹ genannt. Aber ich bin sicher, dass es da noch ein anderes Wort gibt.«
    »Ich bin mir da nicht so sicher. Und warum warst du überhaupt auf dem Mäher?«
    »Mr. Dickerson, Catherines Vater, ist damit steckengeblieben und wollte, dass ein ›großer starker Bursche‹ ihn wieder rausfährt.«
    Ich lache bei dem Gedanken, dass irgendjemand Wolfgang als einen »großen starken Burschen« bezeichnen könnte. Er ist nichts davon.
    »Ja«, sagt er. »Ha ha.«
    »Tut mir leid. Wie ist sie denn so, die Familie?«
    »Reich«, sagt Wolf. »Im Teppichgeschäft.«
    »Und gibt es eine Zukunft mit Catherine?«, frage ich.
    »Für mich?« Er zuckt mit den Achseln. »Wer weiß?« Er steht auf und nimmt die Flasche Sliwowitz aus dem Regal. Er gießt sich ein großes Glas ein, aber als er mir welchen anbietet, schüttele ich den Kopf. »Egal«, sagt er, »wie geht es deinem Fluch?«
    »Hmm«, sage ich. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
    »Du weißt, dass ich das kann. Und ich habe dir schon gesagt, dass es mir nichts ausmacht, noch mehr verflucht zu sein.«
    »Ich glaube nicht, dass du verflucht sein wirst, nur weil du davon hörst«, sage ich.
    »Was ist es denn? Ein Gegenstand?«
    »Ein Buch.«
    »Ah, der Fluch des Wissens«, entgegnet er sofort.
    »Ich bin mir nicht sicher, dass es das ist«, sage ich. »Es ist ein Roman. Ich glaube, es könnte sich bei dem Fluch um reinen Aberglauben handeln. Aber das Buch ist sehr selten und möglicherweise sehr wertvoll – wobei meine Ausgabe beschädigt ist, also ist sie vermutlich in Wirklichkeit nichts wert.«
    »Und du hast es am Freitag gekauft?«
    »Ja. Im Grunde hab ich mein ganzes Geld dafür ausgegeben.«
    »Wie selten ist es?«
    »Sehr selten.« Ich erkläre ihm, dass man, abgesehen vom Exemplar in dem deutschen Bankschließfach, von keinem weiteren wisse. »Selbst ein beschädigtes Exemplar ist immer noch eine ziemlich erstaunliche Sache. Das Buch ist von dem Schriftsteller, über den ich arbeite, Thomas Lumas. Ich bin vielleicht der einzige Mensch auf der Welt, der über den eigentlichen Inhalt des Buches schreiben könnte anstatt über die Geheimnisse, die das Buch umgeben. Ich muss einer der ganz wenigen Leute sein, die es in den letzten hundert Jahren gelesen haben.«
    Gerade als ich beginne, mich in eine Begeisterung hineinzusteigern, unterbricht mich Wolf. »Und worin besteht der Fluch?«
    Ich schaue zu Boden. »Der Fluch besteht darin, dass du stirbst, wenn du es liest.«
    Das Buch liegt immer noch auf der Couch, und ich bemerke, wie Wolf seinen Blick durch das Zimmer schweifen lässt, bevor er darauf zur Ruhe kommt. Er steht auf und geht zum Sofa rüber. Aber anstatt das Buch in die Hand zu nehmen, betrachtet er es bloß, als wäre es ein Ausstellungsstück in einem Museum. Einen Moment lang bilde ich mir ein, dass er viel mehr Angst vor Flüchen hat, als er zugeben will, und dass das der Grund ist, warum er es nicht anfasst. Aber dann denke ich, dass es einfach mit seinem Respekt vor dem Alter und der Seltenheit des Buchs zu tun hat. Wolf hat

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