Troposphere
neunzehnten Jahrhunderts geschrieben, ist aber nie so berühmt geworden, wie er hätte sein sollen …«
»›The Apple in the Garden‹. Nein, so hieß das nicht«, sagt sie. »Warten Sie.« Sie geht zu dem großen Bücherregal hinten im Laden. »L, Lu, Lumas … Nein. Hier ist nichts … Sehen Sie, ich weiß gar nicht, in welche Abteilung man ihn stellen würde. Schreibt er Romane?«
»Manche seiner Bücher sind Romane«, sage ich. »Aber er hat auch ein Buch über Gedankenexperimente geschrieben, ein bisschen Lyrik, eine Abhandlung über Regierungsformen, mehrere naturwissenschaftliche Bücher und eines, das ›The End of Mister Y‹ heißt, ein sehr seltener Roman …«
»›The End of Mister Y‹. Das ist es!«, sagt sie aufgeregt. »Warten Sie.«
Sie geht die Treppe an der Rückseite des Ladens hoch, bevor ich ihr sagen kann, dass sie sich geirrt haben muss. Die Vorstellung, dass sie dort oben tatsächlich ein Exemplar des Romans hat, ist völlig abwegig. Ich würde wahrscheinlich alles hergeben, was ich besitze, um an eine Ausgabe von »The End of Mister Y« zu kommen, Lumas' letztes und geheimnisvollstes Werk. Ich weiß nicht, womit sie es verwechselt hat, aber es ist einfach absurd anzunehmen, dass sie es hat. Niemand hat dieses Buch. Es heißt, dass ein Exemplar in einem deutschen Bankschließfach liegt, aber das Buch ist in keinem Bibliothekskatalog verzeichnet. Ich glaube, dass Saul Burlem einmal eine Ausgabe gesehen hat, aber ich bin mir nicht sicher. »The End of Mister Y« soll mit einem Fluch behaftet sein, und obwohl ich selbstverständlich nicht an solchen Kram glaube, sind manche Leute überzeugt, dass man stirbt, wenn man es liest.
»Ja, hier ist es«, sagt die junge Frau, die mit einem kleinen Pappkarton in der Hand die Treppe runterkommt. »Meinten Sie das hier?«
Sie stellt den Karton auf den Ladentisch.
Ich schaue hinein. Und – ich kriege plötzlich keine Luft mehr – da liegt es; ein kleines, in cremefarbenes Leinen gebundenes Buch mit brauner Beschriftung vorne auf dem Einband und dem Rücken, ohne Schutzumschlag, aber sonst in fast perfektem Zustand. Doch das kann nicht sein. Ich schlage das Buch auf und lese die Titelseite und das Impressum. Ach du Scheiße. Es ist eine Ausgabe von »The End of Mister Y«. Was zum Teufel mache ich jetzt?
»Wie viel kostet es?«, frage ich vorsichtig. Meine Stimme ist kaum zu hören.
»Na ja, das ist das Problem«, sagt sie und dreht den Karton herum. »Die Inhaberin bekommt solche Kartons von einer Auktion in der Stadt, glaube ich, und wenn sie im ersten Stock stehen, heißt das, dass die Bücher bis jetzt nicht ausgezeichnet sind.« Sie lächelt. »Ich hätte sie Ihnen wahrscheinlich gar nicht zeigen sollen. Können Sie morgen nochmal kommen, wenn sie wieder hier ist?«
»Eigentlich nicht …«, beginne ich.
Ideen schießen mir durch den Kopf wie kosmische Strahlen. Soll ich ihr sagen, dass ich nicht von hier bin, und sie bitten, die Inhaberin jetzt anzurufen? Nein. Die Inhaberin weiß eindeutig nicht, dass das Buch hier ist. Ich will nicht das Risiko eingehen, dass sie davon gehört haben könnte und sich dann weigert, es mir überhaupt zu verkaufen – oder versucht, mehrere tausend Pfund dafür zu bekommen. Was kann ich sagen, damit sie mir das Buch gibt? Sekunden verstreichen. Die Frau greift nach dem Telefonhörer.
»Ich rufe eben mal meine Freundin an«, sagt sie. »Ich frage sie, was wir machen können.«
Während sie darauf wartet, dass sie verbunden wird, werfe ich einen Blick in den Karton. Es ist unglaublich, aber da sind noch andere Lumas-Bücher drin, und ein paar Derrida-Übersetzungen, die ich nicht habe, und etwas, das aussieht wie eine Erstausgabe von Edgar Allan Poes »Heureka«. Wie sind diese Texte zusammen in einem Karton gelandet? Ich habe keine Ahnung, was die miteinander zu tun haben könnten, es sei denn, sie sind für ein Projekt zusammengetragen worden, das meiner Dissertation ähnelt. Könnte noch jemand an derselben Sache arbeiten? Unwahrscheinlich, besonders da dieser Jemand die Bücher weggegeben hat. Aber wer würde diese Bücher weggeben? Mir kommt es vor, als schaute ich auf Paleys Uhr. Es ist fast so, als hätte jemand diesen Karton eigens zusammengestellt, um mir eine Freude zu machen.
»Ja«, sagt die Frau gerade zu ihrer Freundin. »Es ist ein kleiner Karton. Im ersten Stock. Ja, auf dem Stapel in der Toilette. Ähm … sieht aus wie eine Mischung von alten und neuen. Ein paar von den alten sind ein
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