Troposphere
tatsächlich mit einem Fluch belegt worden sei, nicht in einem übernatürlichen Sinn, sondern durch die Ansichten von Menschen, die Lumas diskreditiert sehen wollten.
Anschließend gab es einen Empfang in der Painted Hall. Es war knallvoll: Ein Populärwissenschaftler hatte zur gleichen Zeit wie Burlem gesprochen, und nun hielt er in der großen Lower Hall unter einem Bild von Kopernikus Hof. Ich hatte zunächst erwogen, zu seinem Vortrag zu gehen, aber jetzt war ich froh, mich für Burlem entschieden zu haben. Das übrige Publikum bei Burlems Vortrag – zwei Männer, die, abgesehen von ihren fast weißblonden Haaren, ein bisschen wie Finanzbeamte aussahen, und eine Frau um die sechzig mit pinkfarben gesträhnten grauen Haaren – hatte sich nicht weiter aufgehalten. Also begannen Burlem und ich Rotwein zu trinken, und zwar zu schnell, wobei wir uns in der hinteren Ecke der Upper Hall verschanzten. Burlem trug einen langen Trenchcoat aus grauer Wolle über schwarzem Hemd und schwarzer Hose. Ich kann mich nicht erinnern, was ich anhatte.
»Also würden Sie es lesen?«, fragte ich, natürlich mit Bezug auf »The End of Mister Y«.
»Natürlich«, sagte er mit einem merkwürdigen Lächeln. »Sie nicht?«
»Auf jeden Fall. Besonders nach diesem Vortrag.«
»Gut«, sagte er.
Burlem schien niemanden in der Lower Hall zu kennen, und mir ging es genauso. Keiner von uns beiden machte Anstalten, unsere Ecke zu verlassen und sich unters Volk zu mischen: Ich bin nicht besonders gut darin und stoße Leute oft vor den Kopf, ohne es zu wollen; ich weiß nicht, welchen Grund zu bleiben Burlem hatte – vielleicht hatte ich ihn nur noch nicht vor den Kopf gestoßen. Die ganze Zeit, die ich in der Painted Hall verbrachte, kam ich mir ein bisschen wie ein Stück aus einer riesigen Pralinenschachtel vor, um das herum die cremefarbenen, die Braun-, Gold- und Rottöne der gewaltigen Gemälde zu schmelzen schienen. Vielleicht waren Burlem und ich die harten Zentren, an denen niemand interessiert war. Die ganze Zeit über kam niemand sonst in die Upper Hall.
»Ich kann nicht glauben, dass nicht mehr Leute zu Ihrem Vortrag gekommen sind«, sagte ich.
»Kein Mensch hat je etwas von Lumas gehört«, sagte Burlem. »Daran bin ich gewöhnt.«
»Außerdem standen Sie offenbar in Konkurrenz zu einem berühmten Kollegen.«
Burlem lächelte. »Jim Lahiri. Er hat vermutlich auch noch nie von Lumas gehört.«
»Vermutlich«, stimmte ich zu. Ich hatte Lahiris populärwissenschaftlichen Bestseller über das Ende der Zeit gelesen und wusste, dass er nichts von Lumas halten würde, selbst wenn er von dessen Existenz wüsste. Man kann im Rahmen populärwissenschaftlicher Diskurse heutzutage ziemlich kühne Dinge sagen, aber das Übernatürliche ist – genauso wie Lamarck – immer noch tabu. Man kann so viele Dimensionen haben, wie man will, solange keine von ihnen Geister oder Telepathie oder irgendwas enthält, das mit Charles Darwin Schindluder treibt oder das Hitler gemocht hat (von Charles Darwin abgesehen).
Burlem nahm die Flasche Wein, schenkte uns nach und sah mich stirnrunzelnd an. »Warum sind Sie denn hier? Sind Sie Studentin? Falls Sie über Lumas arbeiten, sollte ich Sie vermutlich kennen.«
»Ich arbeite nicht über Lumas«, sagte ich. »Ich schreibe kleinere Artikel für die Zeitschrift ›Smoke‹. Wahrscheinlich haben Sie den Namen noch nie gehört. Als Nächstes schreibe ich vielleicht einen Artikel über Lumas, aber das zählt wohl nicht als ›arbeiten über‹ in Ihrem Sinn.« Ich machte eine Pause, aber Burlem sagte nichts. »Es ist jedenfalls ein großartiges Thema, selbst wenn es sich nur um einen Artikel in einer Zeitschrift handelt. Sein Zeug ist ziemlich verrückt. Ich meine, auch ohne die Kontroversen und den Fluch ist es erstaunlich.«
»Allerdings«, sagte Burlem. »Das ist der Grund, warum ich an einer Biographie arbeite.« Nachdem er das Wort »Biographie« gesagt hatte, schaute er zunächst zu Boden und dann an die bemalte Decke hoch über unseren Köpfen. Ich musste die Stirn gerunzelt haben oder etwas in der Art, weil er auf eine schiefe, entschuldigende Weise lächelte, als er mich wieder ansah. »Ich hasse Biographien«, sagte er.
Ich lachte. »Warum schreiben Sie dann eine?«
Er zuckte mit den Achseln. »Lumas hat es mir völlig angetan. Und die einzige Möglichkeit, über seine Texte zu schreiben, besteht in meinen Augen darin, zugleich über sein Leben zu schreiben. Es könnte sich ganz gut
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