Troposphere
Professor Burlems Bücher ebenfalls eingelagert werden könnten. Wenn ich Ihnen ein paar Kartons runterbringe, wären Sie dann so freundlich, sie vollzupacken? Den Rest machen wir morgen Vormittag fertig.«
Um vier Uhr habe ich die meisten Bücher eingepackt. Oder zumindest diejenigen, die ich vermutlich nie mehr brauchen werde (hauptsächlich Klassiker der Weltliteratur, von denen ich ebenfalls Ausgaben habe, ebenfalls in diesem Zimmer), und ich stelle beunruhigt fest, dass damit erst zwei der fünf Kartons voll sind, die Yvonne mir gegeben hat. Der in den Regalen bislang freigewordene Platz ist bestenfalls minimal. Ich schaue nochmal hin. Völlig unmöglich, dass ich die Theoriebücher Burlems zum Einlagern weggebe. Die brauche ich alle. Und die Lehrbücher für das Seminar zu Literatur und Naturwissenschaften müssen hierbleiben, weil ich in zwei Wochen die Veranstaltung übernehme. Was ist mit den naturwissenschaftlichen Werken aus dem neunzehnten Jahrhundert? Ich vermute, dass ich eine Menge von denen zu Hause habe. Mist. Was soll ich nur machen?
Während ich weiter über die Situation nachdenke, klingelt das Telefon.
»Na …« Es ist Patrick.
»Na«, erwidere ich kokett.
»Rat mal, was ich hier habe.«
»Was hast du denn?«
»Schlüssel.«
»Zu was?«
»Zu den Schlafräumen im Russell. Und da habe ich gedacht …«
Ich lache auf. Er will auf dem Unigelände ficken. Das ist neu. Da ist etwas in seiner Stimme, das ich bisher noch nie bei ihm gehört habe.
»Patrick«, sage ich, als wollte ich einem Kind erklären, dass man nicht mit Streichhölzern spielt. »Was ist denn aber, wenn …«
»Es ist niemand da«, sagt er. »Warum bringst du nicht das Ding mit, das ich dir geschickt habe?«
Kann ich ihm begreiflich machen, dass ich stattdessen Kartons packen muss? Vermutlich nicht. Was ist mit der Untersuchung von Burlems Dateien? Ich ziehe meine Schreibtischschublade auf und betrachte den Gegenstand, den ich mitbringen soll. Und das war es dann. Das Verlangen packt mich hart, und ich spüre, wie sein warmes Gift durch meinen Körper kriecht. Ich ignoriere die Tatsache, dass Patricks Stimme sich komisch anhört und dass das Ganze eine dumme Idee ist, und nachdem ich mich einverstanden erklärt habe, ihn in einer entlegenen Ecke des Russell Building zu treffen, schnappe ich mir meine Handtasche und gehe rüber, wobei ich mir ein paarmal über die Schulter sehe, ob mich jemand beobachtet. Um die Kartons kümmere ich mich später. Und wie lange kann das schon dauern? Ein schneller Fick könnte genau das Richtige sein, um den Nachmittag etwas aufzulockern. Und andere Leute machen ja auch mal eine Teepause, oder nicht?
Anschließend, gegen sechs Uhr, sitze ich immer noch in dem kleinen, leicht heruntergekommenen Zimmer. Patrick ist gegangen, und ich frage mich, ob der Grund dafür, dass ich zu jedem Vorschlag ja sage, darin besteht, dass ich in meinem tiefsten Inneren glaube, alles überleben zu können, aber immer noch nach dem entscheidenden Beweis dafür suche. Es stellte sich heraus, dass Patrick komisch klang, weil seine Frau im Begriff ist, ihn zu verlassen – nicht, weil sie von mir erfahren hätte, sondern weil sie sich in einen ihrer jugendlichen Liebhaber verknallt hat. Patrick ist ganz offensichtlich wütend gewesen. Er hat mich nicht angerufen, um es an mir auszulassen – er ist eigentlich ein netter Kerl. Aber sobald wir in dem Schlafzimmer waren, kollidierte seine Phantasiewelt irgendwie mit der Brutalität und der Wut, die sich in der wirklichen Welt in ihm angestaut hatte, und das machte alles intensiver, verzweifelter und viel abgründiger als sonst. Ob er geahnt hatte, dass es auf so etwas hinauslaufen würde? Schließlich hatte er mich ja gebeten, den Vibrator mitzubringen. Und er hatte Stricke dabei (nicht die üblichen Seidentücher). Aber bestimmt hatte er nicht vorgehabt, so weit zu gehen, wie er es dann tat? Wollte er, dass ich ihn bitte aufzuhören? Ich weiß nicht, warum ich das nicht getan habe. Außer … ich habe ihn nicht gebeten aufzuhören, weil ich nicht wollte, dass er aufhörte, weil, nun ja, mir vielleicht auch das Dunkle und Brutalere gefällt. Vielleicht brauche ich das Dunkle und die Brutalität wie etwas zu essen, wie Zigaretten. Vielleicht … vielleicht sollte ich aufhören, darüber nachzudenken.
Nach zwei weiteren Minuten verlasse ich das Zimmer, und nachdem ich durch einen schmutzigen Flur mit Plakaten an den Wänden gegangen bin, auf denen die Studenten
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