Troposphere
aufgefordert werden, ihre Fenster zu schließen, weil sonst Tauben hineinfliegen, um Eier zu legen, steige ich die steile Treppe zum Hauptteil des Gebäudes hinab. Ich gehe durch den weißen Korridor unter dem weißen Lampenlicht her, um schließlich festzustellen, dass sich die Seitentür nicht öffnen lässt. Normalerweise wird sie nicht so früh abgeschlossen. Mist. Ich trete ein paarmal dagegen, aber sie ist eindeutig abgesperrt. Also muss ich den ganzen Weg wieder zurückgehen, wobei meine Augen wie die eines Einbrechers hin und her wandern. Ich weiß, dass es etwas komisch aussieht, wenn mich hier irgendjemand sieht, ich kann ja nicht mal behaupten, dass ich bei den Automaten gewesen bin, weil ich weder Süßigkeiten noch Knabberkram dabeihabe. Ist mein Gang vielleicht sonderbar? Das wäre nicht überraschend nach dem, was ich gerade hinter mir habe. Aber der Hausmeister nickt mir nur zu, als ich durch den Haupteingang entkomme, und ich werfe ihm einen leeren Blick zu. Zurück im anglistischen Institut, mache ich in der kleinen, verlassenen Küche einen Kaffee und nehme ihn mit in mein Zimmer, wo ich meinem mittlerweile großen Hunger zunächst keine Beachtung schenke und dann aber beschließe, den letzten Schokoladenriegel zu verzehren.
Ich sitze eine Weile im Schneidersitz auf dem Boden und schaue einfach auf die Kartons, während ich den Kaffee trinke und Schokolade esse. Dann inspiziere ich die kleinen Wunden, die die Stricke an meinen Handgelenken und Fußknöcheln hinterlassen haben. Die Hautabschürfungen haben etwas Interessantes an sich, etwas angenehm Symmetrisches. Aber ich werde Patrick wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen. Um der Erfahrung willen würde ich alles einmal machen, aber das heißt nicht unbedingt, dass ich es dann noch ein weiteres Mal machen würde – selbst wenn es mir Spaß gemacht haben sollte. Einen Augenblick lang denke ich über Yvonne nach, die vermutlich inzwischen zu Hause ist und in einer hellen Küche mit gelben Lampen und einer Spülmaschine und einem großen Fernseher, der dasteht, um für den Rest des Abends Helligkeit zu verbreiten, Tee für die Kinder macht. Ich frage mich, an welchem Punkt meines Lebens ich abgeschwenkt bin, um das zu vermeiden, und ob so ein Leben netter gewesen wäre als das, das ich führe.
Draußen ist es dunkel, als ich wieder anfange, Bücher in Kartons zu packen. Sie sind staubig, weil sie so lange im Regal gestanden haben, und meine Hände sind schon fast schwarz von dem Schmutz. Ich achte nicht weiter darauf, während ich den dritten Karton mit so vielen von Saul Burlems naturwissenschaftlichen Büchern bestücke, wie ich entbehren kann, obwohl es einige Zeit in Anspruch nimmt, weil ich immer wieder damit aufhöre und einzelne Bücher aufschlage und hier und da eine Zeile lese. Länger als gewöhnlich halte ich mich mit der »Transcendentalen Physik« von Professor Zöllner auf. Burlems Exemplar ist eine kleine braune, gebundene Ausgabe von 1901. Ich schlage das Buch an einer beliebigen Stelle auf und lese einen kurzen Abschnitt über Kant, Gott und die vierte Dimension, der neben einem Bild mit einigen Knoten abgedruckt ist. Eine andere Tafel, weiter hinten im Buch, zeigt einen kleinen, freistehenden Tisch mit einer breiten, massiven Platte und einem ebensolchen Fuß sowie zwei massiven hölzernen Ringen, die sein einziges dünnes Bein umgeben. Es ist klar, dass die Ringe schon immer dort gewesen sein müssen, falls sowohl sie als auch der Tisch aus massivem Holz sind, aber das waren sie nicht. Sie sind auf irgendeine Weise durch Zauberkraft dorthin gelangt. Ich blättere um und lese über die merkwürdigen Lichter und den Geruch von Schwefelsäure, die der Anbringung dieser Ringe um das Tischbein durch unsichtbare, möglicherweise aus höheren Dimensionen stammenden Kräfte vorausgingen.
Irgendwie schaffe ich es, auf diese Weise ein ganzes Bücherregal leer zu räumen. Ich suche ein Buch aus, lese ein bisschen darin und lege es dann, ein wenig traurig, in den Karton. Danach versuche ich alle meine Bücher zusammen mit denen, die ich mir »ausleihe«, in einem Regal unterzubringen, aber sie passen nicht rein. Ich gehe nochmals Burlems Bücher durch. Wenn ich die vier Bände seiner Ausgabe der »Zoonomie« von Erasmus Darwin von 1801 wegpacke, würde ich etwas Platz gewinnen, vor allem, wenn ich noch einige seiner Aristoteles-Bände dazupacke. Aber die »Zoonomie« ist eines meiner Lieblingsbücher aus seiner Bibliothek und eines, das
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