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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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seien, dass ihr Licht bislang nicht genug Zeit gehabt habe, uns zu erreichen.
    Das vielleicht berühmteste Gedankenexperiment der Geschichte begann in dem Moment, als Einstein sich fragte, was wohl geschehen würde, wenn er einen Lichtstrahl einholen könnte. Er überlegte: Wenn er sich mit der Geschwindigkeit des Lichts bewegen könnte, dann müsste er logischerweise den Lichtstrahl so sehen, als wäre er bewegungslos; als wäre man in einem Zug unterwegs, und daneben fährt ein anderer Zug mit derselben Geschwindigkeit und in der gleichen Richtung, und die Leute in dem anderen Zug kommen einem so vor, als bewegten sie sich nicht. Wie würde also das Licht aussehen, wenn es zu ruhen schiene? Würde es aussehen wie eine erstarrte gelbe Welle? Ein in Partikel zerlegter Spritzer Farbe? Und was wäre, wenn man sich selber im Spiegel sehen könnte, während man mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist? Man würde unsichtbar scheinen. Vielleicht wäre man sogar unsichtbar. Einstein begriff, dass es so etwas wie ein elektromagnetisches Feld, das stillsteht, nicht geben kann. Maxwells Gleichungen, die zu implizieren schienen, dass man theoretisch einen Lichtstrahl einholen könne, zeigten auch, dass das Licht nicht ortsfest sein konnte. Also musste einer dieser Aspekte falsch sein. Es wäre interessant, wenn es der andere wäre und man das Licht einholen und als erstarrte Welle sehen könnte, aber aus verschiedenen Gründen, die zu verstehen ich mehr Physikkenntnisse bräuchte, ist es nicht so. Einsteins spezielle Relativitätstheorie stellt fest, dass das Licht sich immer relativ zu einem Beobachter, egal, wie schnell er ist, mit c bewegt, der Lichtgeschwindigkeit. Es spielt keine Rolle, ob man sich mit einem Kilometer in der Stunde oder mit tausend Kilometern in der Stunde fortbewegt. Falls man sich mit der halben Lichtgeschwindigkeit fortbewegt, würde es einem nicht so vorkommen, als ob das Licht, das man sähe, deswegen nur halb so schnell wäre. Es würde sich immer noch mit der Lichtgeschwindigkeit c, relativ zum Beobachter, bewegen.
    »Der schon oft betrachtete Eisenbahnwagen fahre mit der konstanten Geschwindigkeit v auf dem Geleise«, sagt Einstein in seinem Buch »Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie«. Dann erklärt er weiter, dass jemand, der den Wagen in der Längsrichtung, und zwar in Richtung der Fahrt durchschreite, sich weder mit der Geschwindigkeit des Zuges noch mit der Geschwindigkeit seiner Schritte bewege, sondern mit der Summe dieser beiden. Falls der Zug mit hundert Kilometern in der Stunde führe und jemand im Zug mit einem Kilometer pro Stunde ginge, würde er sich tatsächlich mit einer Geschwindigkeit von einhunderteins Kilometern pro Stunde fortbewegen, relativ zu dem Bahndamm, an dem er vorbeifährt. Falls ich nun auf der Autobahn entlang der Eisenbahnstrecke mit, sagen wir, fünfundachtzig Kilometern pro Stunde führe und dieser Zug überholte mich, käme es mir ebenso vor, als führe er fünfzehn Kilometer pro Stunde relativ zu mir, und derjenige, der in ihm geht, würde mit einer Geschwindigkeit von sechzehn Stundenkilometern zu gehen scheinen. Falls er aus dem Zug schaute und mich neben ihm fahren sähe, würde ich in seinen Augen rückwärtszufahren scheinen. All dies ist Newtons relative Geschwindigkeit, und das gilt nicht für das Licht.
    Einsteins Gleichungen, das Endergebnis seines ursprünglichen Gedankenexperiments, zeigen, dass Masse und Energie unterschiedliche Manifestationen derselben Sache sind, und falls jemand versuche, Lichtgeschwindigkeit zu erreichen, würde er nur schwerer werden, je näher er ihr käme, während seine Energie sich in Masse verwandele. Er bewies auch, dass Raum und Zeit im Grunde genommen dasselbe sind. Für Lumas war die vierte Dimension ein Raum, der Wesen oder zumindest Gedanken enthielt. Für H.G. Wells war sie eine grünliche Anderwelt, die Geister enthielt. Für Zöllner war sie ein Ort voller Phantome, denen offenbar nichts besser gefiel, als Zauberern zu helfen. Aber für Einstein war sie überhaupt kein Ort. Doch dabei war sie auch nicht einfach die Zeit. Sie war die vierte Dimension der Raum-Zeit: nicht nur die Uhr, sondern die tickende Uhr an der Wand, relativ zum Beobachter.
    Der Techniker räuspert sich. »Ich bin gleich so weit«, sagt er.
    »Toll. Vielen Dank«, erwidere ich.
    Manchmal frage ich mich, wie es wohl gewesen wäre, Einstein zu sein, in einem stickigen Büro des Patentamts zu sitzen und auf Eisenbahnschienen und

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