Troposphere
Züge zu schauen. Es hat natürlich etwas Romantisches an sich, so wie nur das Leben anderer Menschen es sein kann. Ich schaue kurz von meinen Notizen auf und aus meinem großen metallgerahmten Fenster hinaus. Plötzlich fällt mir etwas ein, eine seltsame Lumas-Verbindung, und ich schaue wieder auf meine Notizen. Ich schreibe:
Metapher (wie im Lumas-Vorwort) … Trope … (Troposphäre! – seltsam) Arten, über die Welt zu denken. Man kann Züge nicht als Metaphern benutzen, wenn es keine Züge gibt. Vgl. différance. Kann ein Gedanke existieren ohne die Sprache, in der man den Gedanken ausdrückt? Wie beeinflusst die Sprache (oder Metapher) den Gedanken? Vgl. Poetik. Wenn es keinen Abend gäbe, würde niemand denken, er wäre wie das Alter.
»Okay«, sagte der Techniker. »Alles klar. Sie brauchen jetzt nur noch das neue Passwort eingeben …«
Er steht auf und geht ein paar Schritte auf und ab, während ich vor dem Rechner sitze und mir ein Wort auszudenken versuche. Ich sollte mein eigenes Passwort verwenden; das wäre die einfache Lösung. Ein paar Alternativen gehen mir durch den Kopf. Aber irgendwie tippe ich ruhig hacker in das Kästchen. Das Wort erscheint als sechs kleine Sterne, und ich bestätige mit OK und sage dem Techniker, dass ich fertig bin. Er kommt rüber und tippt noch ein paar Dinge ein und startet dann den Rechner neu.
»Alles erledigt«, sagt er und geht.
Ich habe die Maus ungefähr einen Millimeter über den Schreibtisch bewegt, als das Telefon klingelt. Es ist Yvonne.
»Ist der Techniker schon da gewesen?«, fragt sie.
»Ja«, sage ich. »Er ist gerade gegangen.«
»Haben Sie denn jetzt Ihr Dokument gefunden?«
»Ähm … Nein. Noch nicht. Ich habe mich buchstäblich jetzt gerade eben erst eingeloggt.«
»Okay, nun gut, regeln Sie das, und ich komme in zehn Minuten runter, um die Schreibtische umzustellen. Roger ist jetzt da, aber ich werde ihm einfach eine Tasse Tee anbieten, und wir bleiben noch ein bisschen hier. Es macht Ihnen doch nichts aus, ungefähr zehn Minuten zu warten, nicht wahr, Roger?« Im Hintergrund kann ich gedämpft hören: Ja, wenn es dazu auch einen Keks gibt. »Okay, Ariel, bis gleich.«
Zehn Minuten. Mist. Ich kann Burlems Rechner nicht in zehn Minuten durchsuchen. Okay: Plan B. Ich nehme meinen iPod aus der Tasche und schließe ihn an Burlems Rechner an. Ich bete (zu was?, zu wem?), dass die Verbindung funktioniert, und nach ein paar Sekunden erscheint das iPod-Icon als externe Festplatte auf dem Bildschirm. Super. Jetzt muss ich nur noch den Inhalt von Burlems Ordner »Meine Dokumente« rüberziehen und … Fertig. Das hat ungefähr zwanzig Sekunden gedauert. Könnte er Informationen an irgendeiner anderen Stelle auf seinem Rechner versteckt haben? Ich stochere metaphorisch ein bisschen herum, aber mit ein paar Klicks auf verschiedene Ordner sehe ich, dass er außer »Meine Dokumente« keinen für seine Dateien benutzt. Ich bin nicht ganz zufrieden, aber es muss reichen. Ich überprüfe noch einmal, ob die Dateien vollständig kopiert worden sind, bevor ich meinen iPod rausziehe und den Rechner ausschalte. In diesem Moment klopft es an der Tür: Yvonne ist da.
Kapitel acht
Yvonne ist fassungslos angesichts der vielen Bücher.
»Was meinen Sie, Roger?«, fragt sie.
»Na ja«, antwortet er. »Sie werden hier keine zusätzlichen Regale mehr reinstellen können.«
»Nein. Das denke ich auch.«
Während sie sich unterhalten, räume ich die Schubladen von Burlems Schreibtisch aus, was ich schon viel früher hätte tun sollen. Ich habe bereits ein paar lose Blätter zu seinem Seminar über Literatur und Naturwissenschaften abgeheftet und wende mich jetzt dem allgemeinen Schrott zu. Ein Teelöffel, den er vermutlich aus der Küche geklaut hat und den ich verstecke, bevor Yvonne ihn sehen kann. Eine ungeöffnete Tüte Filterkaffee, die ich ebenfalls verstecke, während ich etwas in der Art von »glückliche Finderin« denke, aber auch, dass Burlem wahrscheinlich nichts dagegen hätte, wenn ich im Notfall seinen Kaffee trinke. Sonst ist jedenfalls nichts Interessantes in Burlems Schubladen: nur jede Menge Bleistifte und Filzschreiber. Oh! Und ein elektrischer Bleistiftspitzer. Den nehme ich auch an mich.
»Was meinen Sie, Ariel?«, fragt Yvonne.
»Wie bitte?«, sage ich. Ich war derart mit der Plünderung von Burlems Schubladen beschäftigt, dass ich es irgendwie geschafft habe, die beiden auszublenden.
»Wir haben gerade besprochen, dass
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