Troposphere
Buch zu Ende, nur von meinem eigenen Verlangen abgelenkt, die Zutaten zu finden und etwas von der Tinktur für mich selbst zuzubereiten.
Teil zwei
Die Materien, von denen der Mensch Kenntnis hat, entziehen sich stufenweise den Sinnen. Wir haben zum Beispiel ein Metall, ein Stück Holz, einen Tropfen Wasser, die Atmosphäre, ein Gas, Wärme, Elektrizität, den als Lichtvermittler dienenden Äther. Nun bezeichnen wir all diese Dinge als Materie und erfassen alle Materie in einer allgemeinen Definition, aber trotzdem liegen keine zwei Vorstellungen im Wesen weiter auseinander als die, die wir mit einem Metall, und die, die wir mit dem Lichtäther verbinden. Wenn wir den letzteren durchdringen, empfinden wir eine fast unwiderstehliche Neigung, ihn als Geist oder als Nichts zu klassifizieren. Der einzige Beweggrund, der uns davon zurückhält, ist unsere Auffassung von seiner atomistischen Struktur, und selbst hier sind wir auf unseren Begriff vom Atom als etwas unendlich Kleinem, Dichtem, Greifbarem, Schwerem angewiesen. Zerstören wir die Vorstellung der atomistischen Struktur, sind wir nicht mehr in der Lage, den Äther als Wesenheit oder wenigstens als Materie zu betrachten. In Ermangelung eines besseren Worts könnten wir ihn Geist nennen. Gehen wir nun einen Schritt über den Lichtäther hinaus – stellen wir uns eine Materie vor, die um so vieles feiner ist als der Äther, wie dieser Äther feiner ist als das Metall, so kommen wir sogleich (allen Schul-Dogmen zum Trotz) zu einer einzigen Masse – einer partikellosen Materie. Denn wenn wir den Atomen selber auch unendliche Kleinheit zugestehen mögen, ist die unendliche Kleinheit in den Räumen zwischen ihnen eine Absurdität.
Edgar Allan Poe, »Die Mesmerische Offenbarung«
Wie materielle Dinge sich alle als verbunden und als Teile eines Dings erweisen; wie die Kieselsteine zu unseren Füßen und der entfernteste und unrentabelste Fixstern immer noch vereint sind, so sind auch »Regnet es, mein Liebling?« und die langweiligste metaphysische Untersuchung eng miteinander verbunden.
Samuel Butler, »Notebooks«
Kapitel neun
Du schaust in den Spiegel, und diesmal sagt er dir, ja, du bist verflucht.
Die Sonne geht gerade erst auf, als ich am Dienstagmorgen zur Universitätsbibliothek komme, etwa fünf Minuten bevor sie öffnet. Ich bin etwas benommen von dem Aufstieg den Hügel hinauf im schwachen grauen Licht, erdrückt vom winterlichen Himmel und meinem eigenen Atem, der selbst ein Winterhimmel in Kleinformat ist. Zum ersten Mal überhaupt hörte ich beim Gehen Musik auf meinem iPod, und das Stück, das meinem Gefühl nach am besten zu dem Erlebnis passt, an meinem ersten Tag als jemand, der möglicherweise verflucht ist, im Morgengrauen einen Hügel hochzugehen, war Händels Dixit Dominus. Dasselbe Stück, das an dem Abend gespielt worden war, als ich Burlem in Greenwich kennenlernte. Ich liebe dieses Musikstück und hasse es zugleich, und während es läuft, fühlt es sich an, als ob es an mir rumkrabbelt, sowohl innen als auch außen auf meiner Haut.
Patrick mag denken, ich sei ungeheuer postmodern, weil ich einen iPod habe, aber ich ziehe immer noch Bibliotheken dem Internet vor, wenn es ums Recherchieren geht. Und obwohl ich weiß, was Weihwasser ist und wo ich wahrscheinlich welches bekomme, habe ich keine Ahnung von der zweiten Zutat in Mr. Ys Rezept: Carbo vegetabilis (oder Holzkohle). Nun ja, okay, ich verstehe, dass Holzkohle mit verbranntem Holz oder verbrannten Pflanzen zu tun hat, aber was ist eine homöopathische Potenz? Ich vermute, das Internet würde mir das schnell verraten, aber es könnte dabei ungenau sein. Außerdem muss ich herausfinden, was ein Autor des neunzehnten Jahrhunderts darunter verstanden hat. Wer weiß? Der Begriff existiert vielleicht gar nicht mehr, oder er bedeutet jetzt etwas anderes. Man sehe sich nur an, wie sich über die Jahrhunderte die Bedeutung des Wortes »Atom« verändert hat. Ich habe definitiv beschlossen, diese Tinktur herzustellen und sie auszuprobieren. Obwohl mir an diesem Morgen jene Dringlichkeit in den Sinn fuhr, die einen manchmal beim Aufwachen packt, und irgendetwas in meinem Innern mir sagte, ich solle aufhören. Aber warum sollte ich das tun? Schließlich ist es nicht so, dass mir diese Mixtur Schaden zufügen könnte. Holzkohle ist nicht giftig, und Wasser auch nicht. Und es scheint mir, dass dieses Rezept ein Teil des Buchs ist und dass, aus welchem Grund auch immer,
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