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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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einen Blick auf meinen Schatz zu werfen, bevor er mit den Knöcheln seiner linken Hand zweimal auf den Tisch klopfte und Anstalten machte, aufzustehen.
    »Nun ja, dann noch einen guten Abend, Mr. Y. Sie haben erhalten, weshalb Sie gekommen sind.«
    Ich zögerte, weil ich mir darüber im Klaren war, dass dies die einzige Gelegenheit für mich sein würde, die Frage zu stellen, die mir auf der Seele lag.
    »Bevor ich gehe«, sagte ich, »habe ich noch eine Frage an Sie.«
    Der Arzt zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.
    »Ich würde gern wissen, wie viele andere Menschen dieses Rezept haben«, sagte ich.
    »Sie würden gern wissen, wie wertvoll dieses Wissen ist, das Sie in Händen halten«, sagte der Arzt. »Sie würden gern wissen, wie viel Macht Sie jetzt besitzen und wie sehr sie möglicherweise unter dem Rest der Bevölkerung verdünnt worden ist. Nun denn, ich kann Ihre Frage recht leicht beantworten. Sie sind der einzige Mensch, dem ich dieses Rezept verkauft habe. Nicht jedermann ist so sehr gewillt wie Sie, sich allein aus Wissensgründen in ein Zelt zu legen und das medizinische Gebräu eines Wildfremden zu schlucken. Zur Linderung von Schmerzen ist dies üblich. Zum Vergnügen ebenfalls. Aber Sie können sicher sein, mein Herr, dass Sie bis dato mein einziger Kunde sind.«
    Ich hatte noch weitere Fragen, aber der Arzt machte es mir gegenüber recht deutlich, dass unser Handel abgeschlossen war, und ich ging hinaus in den kalten, düsteren Gang. In einem Salon zu meiner Rechten sah ich ein Kind, das versuchte, ein Feuer zu entzünden. Dies zeitigte als Ergebnis ein leises, hartnäckiges Zischen und so viel Rauch, dass er mir in den Augen stach. Als ich sicher war, dass niemand zusah, rieb ich mir den Ruß aus den Augen und unterzog das Dokument in meiner Hand einer kurzen Untersuchung. Es enthielt nur wenige Zeilen, die mit blassvioletter Tinte in einer ungeschulten, unorthodoxen Handschrift notiert waren.
     
    Bereiten Sie die Tinktur auf folgende Weise zu:
    Vermischen Sie einen Teil Carbo vegetabilis, das heißt: Holzkohle, in der 1000sten centesimalen homöopathischen Potenz mit 99 Teilen Weihwasser in einem gläsernen Kolben oder Fläschchen und schüttelschlagen Sie die Mixtur zehnmal. FD 1893
     
    Dann schob ich das blaue Papier in meinen Schuh und machte mich auf den Weg zur Tür.
     
    Als ich die Lektüre der beiden fehlenden Seiten aus »The End of Mister Y« beende, ist mein Mund trocken, und mein Herz rast, als wollte es aus der Brust springen. Ich kann es einfach nicht glauben. Ich lese die Seiten gleich nochmal und versuche, das Gefühl wiederzubeleben, das ich empfand, als ich bei dem Rezept ankam, so ziemlich in derselben Weise, wie man sich noch einmal für eine Achterbahnfahrt auf dem Jahrmarkt anstellt, die einen gerade in Schrecken versetzt und erregt hat. Aber so funktioniert es nicht. Dies ist keine Fahrt, die man noch einmal machen kann, sondern eine, vermute ich mal, bei der es schlicht unmöglich ist auszusteigen. Und dann merke ich, dass ich einfach nicht mehr sitzen bleiben kann. Ich stehe auf und gehe in dem Zimmer auf und ab, wobei ich den Eindruck habe, dass ich etwas Größeres, etwas viel Größeres tun sollte, um dem Gefühl, das ich empfinde, Ausdruck zu verleihen, aber ohne zu wissen, was das sein könnte. Gelächter? Tränen? Mein Gehirn spielt verrückt, aber ich unternehme dann doch nichts, um das zum Ausdruck zu bringen; ich gehe nur auf und ab und rauche und denke nach. Ich denke über dieses seltsame Vorwort nach und über all die Hinweise, dass »The End of Mister Y« etwas Reales enthält. Ich denke über die Mühe nach, die jemand, wahrscheinlich Burlem, auf sich genommen hat, um diese Seite zu verstecken, die, abgesehen von den Instruktionen zur Zubereitung der Tinktur, nichts wirklich Interessantes enthält. Ich denke über Lumas' seltsame Anspielungen auf Telepathie nach, und ich erinnere mich an diesen Abschnitt über den Automaten des Geistes.
     
    So wie Robert-Houdin Automaten gebaut hat, um seine Illusionen zu fabrizieren, so werde ich hier vorschlagen, einen Automaten des Geistes zu erschaffen, durch den man Illusionen und Realitäten jenseits dessen sehen kann; von dem aus jemand, wenn er weiß wie, in die Automaten allen Geistes, aller Gedanken und ihrer Elektrizität springen kann.
     
    Und als ich sicher bin, dass ich verstehe, warum die Seite wichtig und aus welchem Grund sie möglicherweise versteckt worden ist, setze ich mich hin und lese das

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