... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)
Kameraden beherzigt wurde: Was man mich fragte, beantwortete ich im allgemeinen wahrheitsgemäß; worüber ich aber nicht befragt wurde, darüber schwieg ich. Fragte man mich, wie alt ich sei, dann sagte ich es; fragte man mich nach meinem Beruf, dann sagte ich »Arzt« – verschwieg aber, Facharzt zu sein, wenn man sich nicht ausdrücklich nach meinem Fach erkundigte. Am ersten Vormittag in Auschwitz kam ein SS-Offizier zum Appell. Die Kameraden unter vierzig mußten hier antreten, die über vierzig dort; Metallarbeiter, Automechaniker usw. wurden wiederum extra aufgestellt. Dann wurden wir bei herabgelassenen Hosen auf Brüche untersucht und einzelne Kameraden wieder ausgesondert. Eine Gruppe wurde dann zu einer andern Baracke getrieben, um dort neuerdings zu einem Appell anzutreten. Ich kam mit. Abermals wurden wir sortiert und z.B. ich, nachdem ich die Fragen »Alter? – Beruf?« kurz und zackig beantwortet hatte, bei einer kleinen Gruppe abseits aufgestellt. Wieder wurde diese meine Gruppe zu einer weiteren Baracke getrieben, wo wir alsbald aufs neue umgruppiert wurden. So ging es ein paarmal fort, bis ich schließlich schon ganz unglücklich war, nachdem ich mich unter fremden, durchwegs ausländischen und mir unbekannte Sprachen redenden Leuten befand. Da wurde eine letzte Auswahl getroffen und ich mit den zuletzt Aussortierten in eine letzte Baracke gejagt. Da merkte ich plötzlich: ich war unter meinen alten Kameraden, unter meinen Landsleuten und Kollegen, ich war in der Baracke, von der ich ausgegangen! Und man hatte kaum bemerkt, daß ich inzwischen herumgehetzt worden war. Ich aber ahnte, wie viele mögliche Schicksale ich in wenigen Minuten gestreift hatte...
Als der schon erwähnte Krankentransport in ein »Schonungslager« zusammengestellt wurde, setzte man meinen Namen bzw. meine Nummer mit auf die Liste: man brauchte einige Ärzte. Niemand aber war überzeugt, der Transport ginge wirklich in ein Schonungslager. War man doch schon gewitzigt. Der gleiche Transport war schon ein paar Wochen vorher angeordnet worden. Und schon damals nahm man allgemein an, er gehe nicht in ein Schonungslager, sondern »es geht ins Gas«. Plötzlich kam dann das Aviso: wer will, kann sich von der Liste der Schonungskranken streichen lassen, falls er sich freiwillig zur (so gefürchteten) Nachtschicht meldet. Zweiundachtzig Kameraden taten dies auch sofort. Eine Viertelstunde später hieß es nun: Transport abgeblasen. Die zweiundachtzig aber pickten auf der Liste für die Nachtschicht! Für die Majorität von ihnen war sie in den nächsten vierzehn Tagen der Tod.
Letzter Wille, auswendig gelernt
Nun wurde also zum zweitenmal der Transport ins Schonungslager zusammengestellt. Jetzt wußte natürlich schon niemand mehr, war es eine Finte und ein Trick, um aus den Kranken den letzten Rest von Arbeitskraft, wenn auch nur für vierzehn Tage, herauszupressen; oder ging es ins Gas, oder aber ging es vielleicht wirklich ins Schonungslager? – Der Oberarzt mochte mich gut leiden. Um Viertel vor zehn Uhr abends sagte er mir heimlich: »Ich hab in der Schreibstube gesagt, du darfst dich noch abmelden, bis zehn Uhr kannst du das machen!« Ich gebe ihm zu verstehen, das liege mir nicht, ich hätte vielmehr gelernt, den geraden Weg zu gehen oder – wenn man es so ausdrücken will – dem Schicksal seinen Lauf zu lassen. »Ich bleib nun schon bei meinen kranken Kameraden«, sage ich ihm. Mich streift ein mitleidiger Blick aus seinen Augen, als ob er ahnte... Stumm reicht er mir die Hand, als ob es ein Abschied nicht fürs Leben wäre, sondern: von meinem Leben... Ich gehe. Mit langsamen Schritten gehe ich in meine Baracke zurück. Auf meinem Platz sitzt traurig ein guter Freund. »Du willst wirklich mit?« fragt er mich. »Ja – ich gehe...« Tränen kommen in seine Augen. Ich versuche, ihn zu trösten. Dann aber muß ich etwas anderes tun: ich mache mein mündliches Testament... »Paß auf, Otto: wenn ich nicht zurückkomme, nach Hause, zu meiner Frau; und wenn du sie wiedersiehst... dann sagst du ihr – paß auf: Erstens – wir haben täglich und stündlich von ihr gesprochen – erinnerst du dich? Zweitens: ich habe nie jemanden mehr geliebt als sie. Drittens: die kurze Zeit mit ihr verheiratet gewesen zu sein, dieses Glück hat alles aufgewogen, auch was wir jetzt hier erleben mußten...« Otto – wo bist du jetzt? Lebst du noch? Was ist aus dir geworden, seit jener letzten gemeinsamen Stunde? Hast du deine Frau
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