... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)
schlechte Idee. Aber was sollen wir dabei – was hat das mit uns zu tun und was können wir dazu tun, dabei machen?
SOKRATES: Den Kommentar geben!
KANT (nach einiger Überlegung): Und wissen Sie eine passende Geschichte?
SOKRATES (strahlend): Alles schon vorbereitet, Herr Professor.
KANT: Und der Kommentar?
SOKRATES: Den geben wir während der Handlung.
SPINOZA (plötzlich wankend): Die Menschen werden das nicht mitmachen. Wissen Sie, was sie sagen werden? Die Einheit von Raum und Zeit wird dadurch gesprengt.
KANT: Verzeihen Sie, aber das macht mich lachen: Einheit von Raum und Zeit – angesichts unserer ewigen Gegenwart doch wohl kein Problem mehr!?
SPINOZA: Und dann noch eines: sollen wir einmalig die Phantasie eines Dichters befruchten – oder sollen wir Ensuite-Aufführungen mitmachen, bei ihnen mitspielen?
SOKRATES: Viel einfacher. Wir machen Propaganda mit reinen Tatsachen: unsere Gespräche, so wie wir sie jetzt führen, werden publiziert, und zwar im Theater!
KANT: Was soll denn das nur wieder heißen?
SOKRATES: Wir lassen ganz einfach unser Protokoll auf einer Bühne auf Erden spielen.
KANT: Das bisherige und alles, was wir noch zu sagen haben werden zu dem Spiel, das Sie uns löblicherweise zeigen wollen?
SOKRATES: Jawohl, genau das meine ich. Baruch, womit hat Ihr Protokoll angefangen?
SPINOZA (liest nach): »Protokollführer: Benedictus de Spinoza; Sokrates: die genaue Zeit müssen Sie auch notieren; Kant: Halt! Ich protestiere« – usw. usw.
SOKRATES: Schön – dann wird all das, was bisher gesagt wurde, eben aufgeführt! (Feierlich) Und wir – jetzt – schalten uns einfach ein in die Aufführung von »Synchronisation in Birkenwald« auf der Bühne des... Theaters in...
SPINOZA: Geht nicht – dort spricht man deutsch!
SOKRATES: Na und?
KANT: Benedictus, Sie vergessen, daß wir jetzt nicht in Worten reden, sondern in Gedanken.
SOKRATES: – die Gedanken aber versteht jedes Menschenwesen. Was wir hier denken, muß jeder so verstehen, als ob es in seiner Sprache gesprochen wäre -
KANT: – denn es ist die Wahrheit.
SPINOZA: Ich verstehe...
SOKRATES: Das Spiel kann also angehen – auf geht’s!
SPINOZA (kindlich und freudig erregt): Vorhang!
KANT: Vergessen Sie nicht, Benedictus, wir stehen ja schon die ganze Zeit auf der Bühne – vor offenem Vorhang – man hat uns schon die ganze Zeit zugesehen und zugehört.
SOKRATES: – oder erfassen Sie noch immer nicht die Situation, Baruch?
SPINOZA (etwas verwirrt): Schon, schon...
SOKRATES: Verstehen Sie denn nicht? Wir tun einfach so, als ob uns ein Bühnenautor erfunden hätte und als ob wir von Bühnenschauspielern dargestellt würden – (belustigt) kein Mensch wird ahnen, daß wir uns nur in die Schauspieler sozusagen hineingezaubert haben, und daß wir den angeblichen Verfasser des Stückes bloß mißbraucht haben – köstlich, wie? – Dabei ist das Publikum noch der am meisten Betrogene: wir lassen heute das Publikum spielen – nämlich die Rolle des Zuschauers. Und Sie werden sehen: sie ahnen nichts davon, daß sie spielen, und daß wir – wirklich sind – und das, was sich jetzt hier abspielen wird, auch wirklich ist!
KANT: Aber nun ernstlich, Sokrates, was planen Sie! Ich meine: was für ein Stück?
SOKRATES: Ich will den Leuten ein Bild aus der Hölle vorführen und ihnen beweisen, daß der Mensch auch noch in der Hölle Mensch bleiben kann. – Beiläufig so, wie wir auch hier im Himmel, oder was sie unten so nennen, noch Menschen geblieben sind, irgendwie – oder nicht?
KANT: Gewiß, gewiß; Gott sei Dank.
SPINOZA: Gott sei Dank!
SOKRATES (bezüglich, zu Kant): Und sowas nannten die – einen Atheisten...
KANT (lächelt, dann): Also? Ich bin bereit, Sokrates.
SOKRATES (nach oben rufend): Ich bitte – den Vorhang zwischen Ewigkeit und Zeit...!
Der Zwischenvorhang hebt sich. Man sieht, im Halbdunkel, eine verfallene, verwahrloste Baracke in einem Konzentrationslager. Beiläufig in der Mitte ein kleiner eiserner Ofen. Während rechts das Barackenende auf der Szene nicht mehr sichtbar ist, sieht man links die Eingangstür; davor, noch weiter links, einen kleinen Platz, und im Anschluß daran, gegen die linke Begrenzung der Szene, die Stacheldraht- Umzäunung, die sich im Hintergrund rechts herum hinter der Baracke fortsetzt. Vor der vom Zuschauer aus hinteren Wand der Baracke zieht sich, ihr entlang, etwa in Kniehöhe eine Plattform aus Brettern, mit wenig Stroh belegt; auf ihr nehmen dann die
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