... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)
erführen, daß jede Arbeit, in der sie sich auf Sie, Herr Professor, beziehen, augenblicklich – SOKRATES: Sie meinen wohl: ewiglich?
SPINOZA: – ja: ewiglich, auf Ihren hiesigen ewigen Schreibtisch geflattert kommt – als Sonderdruck.
SOKRATES: Und wie erstaunt wären erst die Philosophen, wenn sie wüßten, daß ihre ungedruckten, noch unausgesprochenen, ihre kaum gedachten großen Gedanken, sofern es nur wirklich große Gedanken sind, längst hier publiziert aufliegen und nur darauf warten, bis ihr verkrachter Autor von unten heraufkommt, um sie in Empfang zu nehmen.
KANT: Aber warum denken Sie immer nur an unsere Zunft? Warum nicht auch an andere, an Künstler – an Musiker? Oder können Sie sich nicht mehr erinnern an jenen – ewigen – Augenblick, in dem Schubert zu uns stieß und mit Tränen in den Augen die Partitur seiner h-moll-Symphonie ausgehändigt bekam – nunmehr als »vollendete«...
SOKRATES: Können Sie sich erinnern, Meister, was die Heerscharen damals aufgeführt haben? Das war ein Lobsingen ohne Ende.
SPINOZA: Und zwischendurch immer Motive aus der h-moll. KANT: Ja, ja, wüßten die Menschen...
KARL: – ob sie noch lebt, die Mutter?
FRANZ (halblaut): Mutter, lebst du noch, Mutter, lebst du noch? Sag, Mutter: lebst du noch?
KARL: Woran denkst du? Warum sprichst du nicht?
Was bist du so still, Franz?
FRANZ (noch immer leise, grüblerisch): Mutter, lebst du noch? Sag, Mutter: lebst du noch?
KARL (ungeduldig): So sprich doch, Franz!
MUTTER (immer näher): Ich kann dir’s nicht sagen, Franzerl. Ich darf dir’s nicht sagen. Aber was tut’s denn zur Sache -! Ob ich lebe oder nicht? (Eindringlich) Bin ich denn nicht bei dir – so oder so? Sowieso bei dir?
FRANZ (an ihr vorbeiredend): Mutter, sag, lebst du noch?
KARL: SO sprich doch nun endlich einmal ein Wort zu mir – du machst mir ja direkt Angst! Sag, spinnst du?
FRANZ (aufschreckend): Was sagst du? Nein – ich hab nur an etwas gedacht. Lassen wir das.
MUTTER (zu den Philosophen): Haben Sie gehört? Er denkt an mich! Fortwährend denkt er an mich.
SPINOZA: Ja.
MUTTER: Aber er zweifelt – was soll ich nur tun, was kann ich tun, daß er nicht so gequält ist von Zweifeln?
KANT: Nichts können Sie tun, liebe Frau. Warten Sie ab – und lassen Sie ihn warten...
MUTTER: Aber ich möchte ihm so gern helfen...
SOKRATES: Sie können gar nichts tun für ihn.
MUTTER: Die beiden haben doch solchen Hunger.
SCHWARZER ENGEL (kommt, wie vorher die Mutter, von rechts her; zu den Philosophen): So ein Pech. Das muß mir passieren!
KANT: Was gibt’s denn?
SOKRATES: Was ist denn los, schon wieder?
SPINOZA: Bei euch ist immer was los.
ENGEL: Ich muß hinab – ich muß hin zu ihnen.
KANT: Wozu denn nur?
ENGEL: Die Frau da hat eine Eingabe gemacht. Sie will ihre Söhne bei sich haben.
SPINOZA: Und?
ENGEL: Ich muß hin zu ihnen; sie prüfen.
KANT: So, wie Sie gehen und stehen?
ENGEL: Ach, was denn...
SOKRATES: Was denn: in Verkleidung, inkognito?
ENGEL: Natürlich.
SPINOZA: Und zwar – als was? Als wer?
ENGEL: Als SS-Mann – ausgerechnet.
KANT: Lustig!
ENGEL: Nicht für mich. Mir muß das passieren: als SS-Mann...
SPINOZA: Was soll denn dabei nur herauskommen?
SOKRATES: Sie haben doch gehört, Baruch: Prüfen soll er sie gehen.
ENGEL: Ich muß sie quälen – bis aufs Blut quälen. Dann wird man sehen, was an ihnen ist. (Verschwindet nach rechts; im selben Augenblick kommt links hinter der Baracke hervor ein SS-Mann.)
UNTERSCHARFÜHRER (reißt die Tür auf).
PAUL (strammstehend): Achtung!! Herr Unterscharführer, Häftling 97.126 meldet: 16 Häftlinge aus dem neuen Transport in Block 6, Baracke 9 untergebracht.
UNTERSCHARFÜHRER: Nr. 118.103!
KARL (springt auf): Hier!
UNTERSCHARFÜHRER: Raus, du Schweinehund!
KARL (eilig, leise): Servus, Franzl. Nicht nachgeben! (Ab mit dem SS-Mann.)
MUTTER (erschrocken, zu den Philosophen): Was haben sie vor mit ihm?
KANT: Fürchten Sie sich nicht, liebe Frau, (betont) es ist zu seinem Besten.
MUTTER (besorgt): Er wird ihn verhören, er will etwas von ihm herausbekommen. Man wird ihn quälen, meinen Karl!
SPINOZA: Haben Sie denn nicht gesehen, es war ein Engel vorhin hier – Ihr Sohn wird nur geprüft.
MUTTER (gequält): Wozu geprüft, ich stehe doch ein für ihn!
SOKRATES: Sie sind nicht maßgebend – wir alle sind es nicht.
MUTTER: Sie meinen wirklich, es ist zu seinem Besten?
KANT: Ja. Sie werden ihn so vielleicht früher bei sich
Weitere Kostenlose Bücher