Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
wirklich die Oberhand. Sie verdrängte die organisierte Kriminalität nur von hier nach dort, von einem Straßenblock zum anderen.
Reacher machte am Bordstein halt. Hinter dem Wachsmuseum verlief eine breite Durchfahrt. Eigentlich ein unbebautes schmales Grundstück, das von Autofahrern als Wendeplatz benutzt worden war, bis Drogenhändler es zu einer Verkaufspassage umfunktioniert hatten. Hier lief der Handel in der üblichen Dreiteilung ab. Ein Käufer bog von der Straße ab und fuhr langsamer. Ein Junge von etwa acht bis zehn Jahren näherte sich ihm. Der Fahrer gab seine Bestellung auf und übergab den Kaufpreis in bar. Der Junge brachte das Geld dem Mann mit dem Geldsack und lief dann zu dem Typen mit dem Stoff weiter, um die Ware zu holen. Der Fahrer beschrieb einen langsamen Halbkreis und traf auf der anderen Seite des Grundstücks erneut mit dem Jungen zusammen. Dort fand die Übergabe statt, und der Fahrer rollte wieder auf die Straße hinaus. Der Junge rannte zu seinem Standort zurück, um auf den nächsten Kunden zu warten.
Ein cleveres System. Völlige Trennung von Geld und Ware; die Beteiligten konnten notfalls rasch in verschiedene Richtungen flüchten; mit Geld oder Stoff wurde nur ein Junge gesehen, der viel zu klein war, um strafmündig zu sein. Der Vorrat wurde häufig ergänzt, sodass der Mann mit dem Stoff nie viel Ware bei sich hatte, und der Geldsack oft geleert, um mögliche Verluste und die Gefährdung des Kassierers zu minimieren.
Ein cleveres System.
Ein System, das Reacher von früher kannte.
Ein System, das er schon früher ausgenutzt hatte.
Der Mann mit dem Geldsack hatte wirklich einen Geldsack: Er saß mit einem schwarzen Nylonseesack zwischen den Füßen in der Mitte des Grundstücks auf einem Betonklotz. Er trug eine Sonnenbrille und würde mit irgendeiner Pistole bewaffnet sein, die ihm diese Woche gefallen hatte.
Reacher wartete.
Ein schwarzer Mercedes ML bremste und bog auf das Grundstück ab. Ein eleganter Geländewagen mit getönten Scheiben und einem kalifornischen Wunschkennzeichen mit einer Abkürzung, die Reacher nicht entziffern konnte. Als der Mercedes an der Einfahrt hielt, kam ein kleiner Junge herbeigesaust. Sein Kopf reichte kaum bis ans Fahrerfenster, aber seine Hand streckte sich weit nach oben und ergriff einen Packen zusammengefalteter Geldscheine. Der Wagen fuhr langsam weiter, und der Junge lief zu dem Mann mit dem Geldsack hinüber. Das Geld verschwand in dem Sack, und der Junge rannte zu dem Mann mit dem Stoff. Der Mercedes begann seinen langsamen Halbkreis.
Reacher legte den ersten Gang von Dixons Ford ein. Sah prüfend nach Norden, prüfend nach Süden. Gab dann Gas, drehte das Lenkrad nach rechts und raste über den Gehsteig auf das Grundstück. Ignorierte die ausgefahrene kreisförmige Fahrspur und hielt auf die Mitte des Grundstücks zu.
Geradewegs auf den Mann mit dem Geldsack zu, während unter den Vorderrädern seines Wagens der Kies wegspritzte.
Der Mann mit dem Geldsack erstarrte.
Wenige Meter vor ihm tat Reacher drei Dinge gleichzeitig. Er riss das Lenkrad nach rechts, legte eine Vollbremsung hin und öffnete die Fahrertür. Der Wagen schleuderte nach rechts, bis die Vorderräder in dem losen Geröll wieder Halt fanden; die auffliegende Tür beschrieb einen weiten Bogen, bis sie den Kerl zwischen Hüfte und Kopf mit voller Wucht traf. Er ging rückwärts zu Boden. Der Ford kam zum Stehen, und Reacher beugte sich aus dem Wagen und bekam den Nylonseesack mit der linken Hand zu fassen. Er warf ihn auf den Beifahrersitz, gab wieder Gas, knallte seine Tür zu und wendete innerhalb des Halbkreises, den der langsamere Mercedes beschrieb. Röhrte davon und holperte über Gehweg und Randstein auf die Highland Avenue zurück. Im Rückspiegel sah er Chaos, Staub in der Luft, den zu Boden gegangenen und seines Geldsacks beraubten Mann und zwei flüchtende Kerle. Zwanzig Meter weiter verschwand er hinter dem Gebäude des Wachsmuseums. Dann war er wieder im Licht, wieder auf dem Hollywood Boulevard.
Von Anfang bis Ende nur zwölf Sekunden.
Keine Reaktion. Keine Schüsse. Keine Verfolgung.
Es würde auch keine geben, vermutete Reacher. Sie würden den schlichten Ford, das scheußliche Hemd und den Bürstenhaarschnitt registriert und den Überfall einem hiesigen Polizeibeamten zugeschrieben haben, der in seiner Freizeit etwas für seine Altersversorgung tun wollte. Im Prinzip also Betriebskosten. Und der Mercedesfahrer konnte es sich nicht leisten,
Weitere Kostenlose Bücher