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Trübe Wasser sind kalt

Trübe Wasser sind kalt

Titel: Trübe Wasser sind kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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unglücklich aussah.
    »Hast du ein paar Sachen, falls wir übernachten müssen?« fuhr Marino fort. Er wußte eigentlich, daß ich hier immer eine Tasche gepackt hatte.
    »Ist das wirklich notwendig?« wandte ich ein. »Wenn es nicht so wäre, würde ich es dir sagen.«
    »Gib mir noch fünfzehn Minuten, um diese Sitzung zu beenden.«
    Ich versuchte, Verwirrung und Furcht so gut wie möglich einzudämmen, und sagte den anderen Ärzten, daß ich vielleicht einige Tage weg sei, da man mich gerade nach Quantico bestellt habe. Aber sie könnten mich über meinen Piepser erreichen.
    Dann nahmen Marino und ich meinen Wagen, da er für seinen schon einen Werkstattermin zur Reparatur der Stoßstange ausgemacht hatte. Wir rasten auf der 95 nach Norden. Wir hatten das Radio an, und mittlerweile hatten wir die Geschichte so oft gehört, daß wir sie genauso gut wie die Reporter kannten. In den vergangenen zwei Stunden war in Old Point niemand mehr gestorben, zumindest war nichts dergleichen bekannt, und die Terroristen hatten Dutzende von Menschen freigelassen. Diese Glücklichen durften zu zweit und zu dritt weggehen, hieß es in den Nachrichten. Rettungsmannschaften, die Staatspolizei und das FBI fingen sie ab, um sie zu untersuchen und zu befragen.
    Wir kamen gegen fünf Uhr in Quantico an, und Marines in Tarnanzügen versuchten nach Kräften, den raschen Einbruch der Nacht zu vereiteln. Sie waren in Scharen auf dem Gelände, auf Lastwagen und hinter Sandsäcken, und als wir nahe bei einer Gruppe an der Straße vorbeifuhren, erfüllten mich ihre jungen Gesichter mit Schmerz. Hinter einer Kurve ragten plötzlich hohe, braune Backsteinbauten über die Bäume. Der Komplex sah nicht militärisch aus, es hätte eine Universität sein können, wenn da nicht die vielen Antennen auf den Dächern gewesen wären. Eine Zufahrtsstraße war auf halber Strecke an einem Eingangstor blockiert, wo Eisenspitzen den Leuten, die in die falsche Richtung fuhren, die Zähne bleckten. Ein bewaffneter Posten kam aus seinem Häuschen und lächelte, weil wir ihm nicht fremd waren. Er ließ uns durch. Wir parkten auf dem großen Platz gegenüber dem höchsten Gebäude, dem Jefferson, das im wesentlichen das Versorgungszentrum der Academy beherbergte. Dazu gehörten das Postamt, die unterirdische Schießanlage, die Kantine und der PX. In den oberen Stockwerken waren Schlafzimmer, auch Sicherheitstrakte für unter Personenschutz gestellte Zeugen und Spione. Neue Agenten in Khaki und Dunkelblau brachten in der Waffenreinigungskammer ihre Schießeisen auf Vordermann. Mir kam es so vor, als hätte ich die Lösungsmittel schon mein Leben lang gerochen, und ich konnte jederzeit im Geist hören, wie Druckluft durch Trommeln und andere Waffenteile zischte. Meine Geschichte war mit diesem Ort verknüpft. Es gab kaum eine Ecke, die nicht irgendein Gefühl in mir weckte, denn ich war hier verliebt gewesen, und ich hatte meine schrecklichsten Fälle in dieses Gebäude gebracht. Ich hatte in ihren Unterrichtsräumen gelehrt und beraten und ihnen unabsichtlich meine Nichte überlassen.
    »Gott weiß, in was wir da hineingeraten«, sagte Marino, als wir in den Aufzug stiegen.
    »Wir werden es nach und nach auf uns zukommen lassen«, sagte ich, als die neuen Agenten mit ihren FBI-Kappen hinter den sich schließenden Stahltüren verschwanden.
    Er drückte auf den Knopf für das Untergeschoß, das zu einer anderen Zeit Hoovers Bunker gewesen war. Die Einheit zur Erstellung von Täterprofilen, wie alle Welt sie noch immer nannte, war dreißig Meter unter der Erde. Es gab keine Fenster oder andere Entlastungen von dem Schrecken, den sie barg. Ich konnte es, offen gesagt, nicht verstehen, wie Wesley es Jahr für Jahr hier aushalten konnte, denn nach jeder Sitzung, die länger als einen Tag dauerte, drehte ich fast durch. Ich mußte Spazierengehen oder Auto fahren. Ich mußte einfach weg. »Nach und nach?« wiederholte Marino, als der Aufzug anhielt. »Unter diesen Umständen kaum möglich. Wir sind einen Tag zu spät und um einen Dollar zu knapp. Wir haben erst damit angefangen, die Teile zusammenzusetzen, als das Scheißspiel schon aus war.«
    »Es ist nicht aus«, sagte ich.
    Wir gingen an der Rezeption vorbei und um eine Ecke, wo ein langer Flur zum Büro des Leiters der Einheit führte. »Ja, ja, hoffen wir bloß, daß es nicht mit einem großen Knall endet. Scheiße. Wenn wir das nur früher herausbekommen hätten.« Er machte große, zornige Schritte.
    »Marino, wir

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