Trübe Wasser sind kalt
konnten es nicht wissen. In keiner Weise.«
»Na ja, ich glaube, ein bißchen was hätten wir schon früher herauskriegen können. Etwa in Sandbridge, als du den merkwürdigen Anruf erhalten hast, und alles andere.«
»Ach, um Himmels willen«, sagte ich. »Wie? Ein Anruf hätte uns ein Hinweis sein sollen, daß Terroristen ein Atomkraftwerk überfallen wollen?«
Wesleys Sekretärin war neu, und ich konnte mich an ihren Namen nicht erinnern.
»Guten Tag«, sagte ich zu ihr, »ist er da?«
»Wen darf ich melden?« fragte sie lächelnd. Wir sagten es ihr und faßten uns in Geduld, während sie ihn anrief. Sie sprachen nicht lange.
Als sie uns wieder ansah, sagte sie: »Sie können rein.«
Wesley war hinter seinem Schreibtisch und stand auf, als wir eintraten. Er sah in seinem grauen Fischgrätanzug mit der grauschwarzen Krawatte wie üblich sehr professionell und düster aus. »Wir können ins Konferenzzimmer gehen«, sagte er. »Warum?« Marino nahm sich einen Stuhl. »Hast du noch ander e herbestellt?«
»So ist es«, erwiderte er.
Ich blieb an meinem Platz stehen und sah ihn nicht länger an , als schicklich war.
»Ach was«, überlegte er es sich anders. »Wir können auch hier drin bleiben. Wartet mal.« Er ging zur Tür. »Emily, können sie noch einen Stuhl auftreiben?«
Wir ließen uns nieder, während sie noch einen Stuhl hereintrug. Wesley fiel es schwer, seine Gedanken beisammenzuhalten und Entscheidungen zu treffen. Ich wußte, wie er war, wenn etwas auf ihn einstürzte. Ich wußte es, wenn er Angst hatte. »Ihr seid über alles unterrichtet«, sagte er, so als wüßten wir Bescheid.
»Wir wissen, was alle wissen«, erwiderte ich. »Wir haben dieselben Nachrichten im Radio wahrscheinlich hundertmal gehört.«
»Wie war's damit, ganz von vorn zu beginnen?« meinte Marino. »CP&L hat ein Bezirksbüro in Suffolk«, fing Wesley an. »Mindestens zwanzig Personen sind heute nachmittag von dort in einem Bus aufgebrochen zu angeblichen Wartungsarbeiten im Übungskontrollraum des Kraftwerks Old Point. Es waren alles Männer, Weiße zwischen dreißig und vierzig, die sich als Angestellte ausgaben. Und sie haben es geschafft, ins Hauptgebäude zu gelangen, wo die Schaltzentrale ist.«
»Sie waren bewaffnet«, sagte ich.
»Ja. Als sie im Hauptgebäude durch die Röntgenkontrolle und andere Detektoren gehen sollten, zogen sie halbautomatische Waffen. Wie ihr wißt, sind Leute getötet worden -wir glauben, mindestens drei Angestellte von CP&L, darunter ein Kernphysiker, der nur zufällig heute das Werksgelände besucht hat und zur falschen Zeit durch die Sicherheitsschleusen ging.«
»Wie lauten ihre Forderungen?« fragte ich, denn ich wollte herauskriegen, wieviel Wesley gewußt hatte und seit wann. »Haben sie gesagt, was sie wollen?«
Er begegnete meinem Blick. »Das macht uns die größte n Sorgen. Wir wissen nicht, was sie wollen.«
»Aber sie lassen Leute frei«, sagte Marino.
»Ja. Und auch das bereitet mir Kummer«, stellte Wesley fest. »Terroristen tun das normalerweise nicht.« Sein Telefon klingelte. »Das hier ist anders.« Er nahm den Hörer ab. »Ja«, sagte er. »Gut. Schicken Sie ihn rein.«
Major General Lynwood Sessions trug seine Navy-Uniform. Er gab jedem von uns die Hand. Er war schwarz, ungefähr fünfundvierzig und auf eine Art attraktiv, die nicht zu übersehen war. Er legte sein Jackett nicht ab und öffnete nicht einmal einen Knopf, als er förmlich Platz nahm und eine dicke Aktentasche neben seinen Stuhl stellte.
»General, ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind«, fing Wesley an. »Ich wünschte, es gäbe einen freudigeren Anlaß«, sagte er und bückte sich, um einen Aktenordner und einen Notizblock herauszuholen.
»Das geht uns allen so«, sagte Wesley. »Das sind Captain Pete Marino aus Richmond und Dr. Kay Scarpetta, Chief Medical Examiner von Virginia.« Er sah mich an und hielt meinem Blick stand. »Sie arbeiten mit uns zusammen. Dr. Scarpetta ist die zuständige Pathologin für die Fälle, die unserer Vermutung nach mit dem, was heute geschehen ist, zusammenhängen.« General Sessions nickte kommentarlos.
Wesley sagte zu Marino und mir: »Laßt mich mal berichten, was wir über die unmittelbare Krise hinaus wissen. Wir haben Grund zu der Annahme, daß Schiffe aus dem Schiffsfriedhof an Länder verkauft werden, in die sie nicht gelangen sollten. Daz u gehören Iran, Irak, Libyen, Nordkorea und Algerien.«
»Was für Schiffe?« fragte Marino.
»Hauptsächlich
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