Trübe Wasser sind kalt
am Tatort vor sich ging. Und so müssen wir mehr Vorsicht als sonst walten lassen.«
Marino schaute Danny an. »Wie lange arbeiten Sie schon in dieser Bude?«
»Acht Monate.«
»Sie haben gehört, was sie gerade gesagt hat, ja?« Danny blickte auf, von Marinos Wechsel im Tonfall überrascht. »Sie können Ihren Mund halten, ja?« fuhr Marino fort. »Kein Prahlen vor den Jungs, kein Versuch, Ihre Eltern oder Ihre Freundin zu beeindrucken. Kapiert?«
Danny hielt seinen Zorn zurück, während er unten am Hinterkopf einen Einschnitt von Ohr zu Ohr machte. »Also, wenn irgendwas durchsickert, werden ich und der Doc hier wissen, wo es herkommt«, fuhr Marino in seinem Angriff fort, zu dem niemand ihn provoziert zu haben schien. Danny klappte die Kopfhaut zurück. Er zog sie über die Augen nach vorn, um den Schädel freizulegen, und Eddings' Gesicht fiel zusammen, traurig und schlaff, als wüßte er, was passierte, und grämte sich. Ich schaltete die Säge ein, und der Raum war erfüllt vom Sirren des Sägeblatts, das durch Knochen drang.
Kapitel 3
Um halb vier war die Sonne tief hinter einen grauen Schleier gesunken, und Schnee lag mehrere Zentimeter hoch und hing wie Rauch in der Luft. Marino und ich folgten Dannys Fußspuren über den Parkplatz, denn der junge Mann war schon gegangen, und ich hatte Gewissensbisse.
»Marino«, sagte ich, »du kannst mit den Leuten nicht so reden. Mein Personal weiß, was Diskretion ist. Danny hat nichts getan, was deine Grobheiten gerechtfertigt hätte, und ich finde das nicht gut.«
»Er ist noch ein Kind«, meinte er. »Wenn du ihn dir richtig erziehst, wird er sich dir gegenüber anständig benehmen. Wir müssen doch an Disziplin glauben.«
»Es ist nicht deine Aufgabe, meine Leute zu erziehen. Und ich habe nie Probleme mit ihm gehabt.«
»Ach ja? Und vielleicht kannst du gerade dieses Mal keine Probleme mit ihm gebrauchen«, erwiderte er.
»Ich würde es wirklich sehr schätzen, wenn du nicht versuchen würdest, mein Büro zu leiten.«
Ich war müde und mißgelaunt, und Lucy ging noch immer nicht ans Telefon in Mants Haus. Marino hatte neben mir geparkt. Ich machte meine Fahrertür auf.
»Na, was macht Lucy über Neujahr?« fragte er, als kenne er meine Sorgen.
»Verbringt es hoffentlich mit mir. Aber ich habe noch nichts von ihr gehört.« Ich stieg ins Auto.
»Der Schnee ist von Norden gekommen, da hat's Quantico zuerst erwischt«, sagte er. »Vielleicht ist sie steckengeblieben. Du weißt doch, wie es auf der 95 zugehen kann.«
»Sie hat ein Autotelefon. Außerdem kommt sie von Charlottesville«, sagte ich. »Wieso das?«
»Die Academy hat beschlossen, sie wieder an die UVA zu schicken, zu einem weiteren Graduiertenseminar.«
»In was? Raketenkunde für Fortgeschrittene?«
»Anscheinend besucht sie einen Spezialkurs über virtuelle Realität.«
»Ach, vielleicht ist sie irgendwo zwischen hier und Charlottesville hängengeblieben.« Er wollte nicht, daß ich wegfuhr. »Sie hätte eine Nachricht hinterlassen können.« Er blickte sich auf dem Parkplatz um. Der Parkplatz war leer bis auf den dunkelblauen, inzwischen schneebedeckten Leichenwagen. Flocken fingen sich in Marinos strähnigen Haaren, und auf seinem kahl werdenden Kopf fühlten sie sich vermutlich kühl an, aber ihm schien es nichts auszumachen. »Hast du Silvester etwas vor?« Ich ließ den Motor an und betätigte dann die Scheibenwischer, um den Schnee von der Windschutzscheibe zu fegen.
»Ein paar von uns Jungs werden wahrscheinlich Poker spielen und Chili essen.«
»Das klingt nach Spaß.« Ich sah zu seinem großen, geröteten Gesicht hoch, während er weiterhin den Blick abgewandt hielt. »Doc, ich hab Eddings' Apartment drüben in Richmond durchsucht und wollte das vor Danny nicht zur Sprache bringen. Ich glaube, du solltest es dir auch mal ansehen.« Marino wollte reden. Er wollte weder bei den Jungs noch allein sein. Er wollte mit mir Zusammensein, aber das würde er nie zugeben. In all den Jahren, die wir uns kannten, konnte er sich zu seinen Gefühlen für mich nicht bekennen, egal, wie offensichtlich sie sein mochten.
»Mit einer Runde Poker kann ich nicht konkurrieren«, sagte ich zu ihm und schnallte mich an, »aber ich wollte heute abend Lasagne machen. Und es sieht nicht so aus, als würde Lucy kommen. Wenn du also…«
»Es sieht auch nicht so aus, als wäre es besonders toll, nach Mitternacht heimzufahren«, unterbrach er mich. Schnee wirbelte in kleinen Böen über den Asphalt.
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