Trübe Wasser sind kalt
euer Fall.« Ihr Blick war ruhig, als sie sich mir zuwandte. »Er interessiert mich, und ich möchte helfen, wenn ich kann, selbst wenn es nur ein ganz geringer Beitrag ist. Aber ich gehe aus dem Zimmer, wenn ihr wollt.«
Seltsamerweise war dies eine der schwersten Entscheidungen, die ich zu treffen hatte, denn wenn ich ihr Einblick in Ermittlungsunterlagen gestattete, vor denen ich sie eigentlich schützen wollte, bedeutete dies eine Anerkennung ihrer beruflichen Kompetenz. Während der Wind an den Fenstern rüttelte und ums Dach heulte, ein Geräusch wie von verzweifelten Geistern, rückte ich auf der Couch ein Stück zur Seite. »Du kannst dich neben mich setzen, Lucy«, sagte ich. »Wir schauen es uns zusammen an.«
Die Bibel der Neuen Zionisten hieß in Wirklichkeit Book of Hand, denn ihr Verfasser war von Gott inspiriert und hatte das Buch bescheiden nach sich selbst benannt. Es war in Renaissance auf Dünndruckpapier gesetzt, in geprägtes Leder gebunden, das abgenutzt und fleckig war und auf dem ein mir unbekannter Name eingetragen war. Über eine Stunde lehnte Lucy sich an mich, und wir lasen, während Marino herumtigerte, noch mehr Holz heranschaffte und rauchte. Seine Unruhe war so spürbar wie der flackernde Feuerschein.
Wie in der Heiligen Bibel war ein Großteil der Aussage des Werks in Parabeln, Prophezeiungen und Sprichwörter gefaßt, was den Text bildhaft und menschlich machte. Das war einer der vielen Gründe, warum das Lesen so schwerfiel. Die Seiten waren mit Menschen und Metaphern bevölkert, die an tiefere Bewußtseinsschichten drangen. Das Hand-Buch, wie wir es in diesen ersten Stunden des neuen Jahres einfach nannten, führte in prägnanten Details die Kunst des Tötens, des Verstümmelns, der Einschüchterung, der Gehirnwäsche und der Folter vor. Der ausführliche Abschnitt über die Notwendigkeit von Pogromen, sogar mit Illustrationen, ließ mich erschauern. Mich erinnerte die Brutalität an die Inquisition, und es wurde sogar erklärt, daß die Neuen Zionisten hier auf Erden seien, um gewissermaßen eine neue Inquisition ins Leben zu rufen. »Wir leben in einer Zeit, in der die Missetäter aus unserer Mitte getilgt werden müssen«, hatte Hand geschrieben, »und wenn wir das tun, müssen wir laut und auffällig wie Zimbeln sein. Wir müssen ihr minderwertiges Blut kühl auf unserer blanken Haut spüren, wenn wir uns an ihrer Vernichtung weiden. Wir müssen dem Einen in die Herrlichkeit folgen und sogar in den Tod.« Ich las von Ruin und Runen und überflog merkwürdige Passagen, die sich mit Brennelementen und Benzin beschäftigten, welche dazu benutzt werden könnten, das Gleichgewicht im Land zu stören. Nach Beendigung der Lektüre schien eine schreckliche Finsternis mich und das ganze Haus eingehüllt zu haben. Ich fühlte mich besudelt und krank von der Vorstellung, daß es Menschen in unserer Mitte gab, die so denken mochten.
Schließlich begann Lucy zu sprechen, denn unser Schweigen hatte mehr als eine Stunde gedauert. »Da wird von dem Einem und ihrer Treue zu ihm gesprochen«, sagte sie. »Ist das eine Person oder so etwas wie eine Gottheit?«
»Es ist Hand, der sich verdammt noch mal wahrscheinlich für Jesus Christus hält«, sagte Marino, während er Champagner nachschenkte. »Weißt du noch, wie wir ihn vor Gericht gesehen haben?« Er schaute zu mir.
»Das vergesse ich so schnell nicht mehr«, sagte ich. »Er ist mit seinem Anhang hereingekommen, darunter ein Anwalt aus Washington mit einer großen goldenen Taschenuhr und einem Stock mit versilbertem Knauf«, berichtete er Lucy. »Hand trägt einen modischen Designeranzug, und er hat langes blondes Haar, zu einem Pferdeschwanz gebunden, und Frauen warten vor dem Gerichtsgebäude, um einen Blick auf ihn zu erhaschen, als wäre er Michael Bolton oder sonst wer, wenn du das in deinen Kopf kriegst.«
»Weswegen stand er vor Gericht?« Lucy sah mich an. »Er hat Antrag auf Herausgabe von Akten gestellt, was der Staatsanwal t ablehnte, und so kam die Geschichte vor Gericht.«
»Was hat er gewollt?« fragte sie.
»In erster Linie hat er versucht, mich zur Herausgabe von Kopien des Totenscheins von Senator Len Cooper zu zwingen«, sagte ich. »Warum?«
»Er hat behauptet, der verstorbene Senator sei von politischen Feinden vergiftet worden. Tatsächlich ist Cooper an einer akuten Blutung eines Gehirntumors gestorben. Das Gericht hat Hands Antrag abgelehnt.«
»Ich schätze, Joel Hand mag dich nicht besonders«, sagte sie.
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